Festtag der befreienden Dialoge

Partizipatorische und deliberative Demokratieansätze können darüberhinaus einen ständigen Dialog mit den Bürger*innen fördern und finden vor allem bei in der Gesellschaft kontroversen Themen Entscheidungsmöglichkeiten, die sich durch eine hohe Legitimität und gesellschaftliche Akzeptanz auszeichnen.

Demokratiezentrum Wien: Beteiligungszentrierte Demokratie

2022_BEGS_Besondere-GespraecheMiteinander reden, von Angesicht zu Angesicht, das ist zumindest ein Ansatz, um zu verhindern, dass die Gesellschaft sich weiter spaltet.(Klaus Ott, 2019-12-29)

In seinem Echo der Stille-Beitrag „Ein Haus des Gebetes für alle Menschen“ bezieht sich Hans Waltersdorfer auf Jes 56,7, eine Stelle, die in zweifacher Hinsicht inspiriert. Einerseits erinnert sie an das „gemeinsame Haus“ in Laudato si‘, andererseits ist diese Bibelstelle eingerahmt von Aufforderungen wie „Wahrt das Recht und sorgt für Gerechtigkeit“ (56,1) und „Kommt her, ich hole Wein. Wir trinken uns voll mit Bier“ (56,12). Diese zwei Stellen wiederum erinnern an das sozialpolitische Engagement (… bis hin zu „Politischer Dienst am Menschen, …“ oder „Kirche muss Politik„) in der Diakonie und an ein Zitat aus dem Glasperlenspiel von Hermann Hesse.

Alle drei Aspekte aus Jesaja sind geradezu prädestiniert dafür, von Mensch zu Mensch auf einem „Marktplatz der Ideen“ besprochen zu werden, um im Bedarfsfall gemeinsam die Ausrufung eines Festtags der befreienden* Dialoge vorzubereiten.

Unbenannt

Diese Hinweise bietet uns Armin Nassehi in seinem 2021 erschienen Buch „Unbehagen – Theorie der überforderten Gesellschaft“:

Vielleicht ist Verhaltensänderung in ästhetisch-konsumähnlicher Form leichter, als wenn es sich um das Ergebnis von Aufklärung und Überzeugung handelt. Dieser Gedanke ist genau genommen leicht zu verstehen, er widerspricht aber diametral den Selbstillusionen jenes Milieus, das sein Geld damit verdient, die Welt zu erklären und wünschenswerte Konstellationen zu entwerfen.“ (S 331 f)

„Das spricht nicht gegen Aufklärung etwa über die Klimafrage – aber es spricht dagegen, immer schon zu glauben, dass die Einsicht schon die Lösung sei.“ (S 332)

„Es geht eher darum, dass sich ganz offensichtlich eher latenzbewehrte Formen der Überzeugung durchsetzen. In einer Gesellschaft, die an die ästhetische Form des Konsums gewöhnt ist, sollte man dies nicht unterschätzen.“ (S 333)

2022-04-20_literaturkritik_lukas-meschik_einladung-zur-anstrengung


Forumtheater Leipzig: „Die Frage, wie wir zusammenleben möchten, lässt sich nur über Dialog und das gemeinsame Aushandeln von Bedürfnissen, Erwartungen und auch Konflikten beantworten. Mit unserer 2022-04-20_Synode_Bischofskonferenz-2021-2023_Synthese-Graz-SeckauArbeit versuchen wir kleine Räume zu öffnen, in denen diese Grundhaltung betont wird – mit der Hoffnung, dass der Mehrwert dieser Perspektive auch über unsere Aufführungen und Workshops hinausreicht.“


Bischof Michael Chalupka nennt verschiedene Gründe, die für die Einführung eines „Feiertages für alle“ am Karfreitag sprechen. Dieser könnte nicht nur für die Älteren Anlass sein darüber nachzudenken, „welche Welt wir den Jungen hinterlassen.“


2022-12-25_offenegesellschaft_beteiligung-die-wirkung-zeigt

2022-12-25_zentralplus_fest-fuer-die-demokratieWas zu tun empfiehlt die Zeit?!

Einer dieser Gründe für geringer werdendes Engagement im „pilgernden Gottesvolk“ sieht Friedrich Otto in der „fortschreitende[n] Desillusionierung der Engagierten“. Innerhalb von nur vier Jahren kam es zu einer Halbierung der Zahl an Teilnehmenden auf dem Deutschen Katholikentag.

Das selbe Bild bieten die politischen Parteien in Bezug auf ihre Mitgliederentwicklung, nur nicht in dieser Geschwindigkeit. Gabriel Rinaldi am 5. Sept. 2020: „Vor 30 Jahren waren noch mehr als 2,4 Millionen Deutsche in Parteien aktiv, sind es heute nur noch etwas mehr als 1,2 Millionen. Wer bleibt, ist im Durchschnitt mehr als 55 Jahre alt, männlich und lebt in Westdeutschland.“

Von einer lebendigen Gemeinschaft kann hier keine Rede mehr sein. Weder aus Sicht der Kirche noch aus jener der Demokratie als selbstgewählte Herrschaftsform. An dieser Stelle empfehlen sich Georges Balandier und Hermann Hesse als mögliche Wegweiser:

2020-10-18_georges-balandier_glasperlenspiel

Die Hände in den Schoß legen und gottergeben darauf vertrauen, dass sich alles von alleine regeln wird oder womöglich darauf, dass die „Reichen und Mächtigen“ für uns alle die richtigen, weil gerechten Entscheidungen treffen werden ist eine Illusion. Nach Michael J. Sandel sind gerade sie es, die „das System manipuliert [haben], um ihre Privilegien zu behalten„. Um das Heft des Handelns als demokratisches und als Volk Gottes selbst in die Hand zu nehmen, dazu hat Caritaspräsident Michael Landau folgende Idee formuliert:

„Wir würden uns beispielsweise wünschen, dass künftige Gesetze und Verordnungen nicht nur einem Klima-Check, sondern auch einem Armuts-Check unterzogen werden, also jeweils überprüft wird, dass sie Kinder- und Altersarmut sinken und nicht steigen lassen.“

Knapp zweieinhalb Jahre später liefert er grundlegende Gedanken nach in seinem Beitrag „Die Ursachen der Übel beseitigen, nicht nur die Wirkungen“:

2022-06-04_SN_Zwei-Feste-mit-starker-Ansage_Pfingsten-und-Shavuot„Und so ist das Konzil auch für die Zukunft der Kirche entscheidend: Wenn es etwa im Dekret über das Laienapostolat, Apostolicam Actuositatem 8 klarstellt: Zuerst muss man den Forderungen der Gerechtigkeit Genüge tun, und man darf nicht als Liebesgabe anbieten, was schon aus Gerechtigkeit geschuldet ist. Man muss die Ursachen der Übel beseitigen, nicht nur die Wirkungen, also die Symptome. Die Kirche der Zukunft muss in diesem Geist eine Kirche sein, die um Gerechtigkeit ringt: Es ist keine mögliche Option, gleichgültig gegenüber dem Schmerz zu leben; wir können nicht zulassen, dass jemand ‚am Rand des Lebens‘ bleibt. (Fratelli tutti 68). Da der Auftrag Jesu keine Verheißung von Gemütlichkeit ist, weist uns Franziskus auch darauf hin, dass das Hinausgehen an die Ränder des Lebens und die Ränder der Gesellschaft die Gefahr in sich birgt, dass wir eine ‚verbeulte‘ Kirche [werden], die verletzt und beschmutzt ist, weil sie auf die Straßen hinausgegangen ist (Evangelii gaudium 49).“

Gleiches gilt sinngemäß für unsere – den regelmäßigen Dialog (für Österreich) suchenden – Anstrengungen auf dem Weg zu einer partizipativen/beteiligungszentrierten Demokratie als eine wesentliche Voraussetzung für die nachhaltige Beseitigung von Übeln, die uns sonst zu verschlingen drohen. Ein gutes Leben für alle ist auf Dauer nicht anders denk- und machbar.

Ein gelingendes Beispiel dafür, wie Dialog und Kunst eine attraktive Mischung ergeben, zeigt das Programm des Elevate Festivals in Graz:

2022-06-02_Kleine-Zeitung_Elevate-Festival_Politischer-Aktivismus-und-kraeftige-Beats

So betrachtet könnte ein Festtag der befreienden Dialoge mit seinem abschließenden „Fest auf Gegenseitigkeit“ ein von unterschiedlichen territorialen Ebenen vorbereitetes und am Gründonnerstag durchgeführtes Format sein als Mischung aus Armutskonferenz, Fronleichnamsakademie & Elevate Festival. Kulturstrategien enthalten als Vorbild für die Suche nach dem passenden Format auch gleichzeitig den richtungsweisenden Pfad der gemeinsamen Reise: beteiligungszentrierte Demokratie als ein wesentlicher, weil grundlegender Beitrag zu einem „guten Leben für alle„.


*| siehe „befreiende Politik“ im nachfolgenden Kommentar

2022-04-07_HdStille_Nostrae-aetate-5_Friede_Barbara-Inmann-Zitat_Furche

pdf-Datei mit einem Auszug aus diesem Beitrag

2 Gedanken zu „Festtag der befreienden Dialoge

  1. Im 2004 veröffentlichten Buch „Das Geld als Zauberstab und die Macht der internationalen Finanzmärkte“ von Erich Kitzmüller und Herwig Büchele lesen wir:

    „Politik und Staat sind kein Hilfsdienst an den jeweils mächtigsten Privatinteressen, zumeist an den Interessen derer, die Vermögen anhäufen, aber auch im Bevorzugen von Arbeitsplatzinhabern gegenüber Arbeitslosen und schwer zu Beschäftigenden. Im Gegensatz dazu wird Politik ausgerichtet auf das Formulieren und Ermöglichen von Gemeinwohl.“ (S 315)

    „Politik kann:
    · den gesellschaftlichen Ort begründen, hegen und erweitern, an dem Entwürfe eines ‚guten Lebens‘, also vor allem Gewaltminderung und Reform des Wirtschaftens, zur Entscheidung gebracht werden;
    · den erlangten Konsens auf den Weg zur Realisierung bringen: die Zustimmung zu (eben nicht zuerst technisch-ökonomischen, sondern sozialen) Neuerungen zugleich symbolisch vorbereiten und durch Vereinbarungen (Institutionen, Normen) und Eingriffe dauerhaft machen, zugleich aber für Kritik und neue Bewertung offen halten.“ (S 316 f)

    „Befreiende Politik muss auch die symbolischen Ressourcen nutzen. Denn das Zusammenleben lässt sich weder durch Gesetze noch durch Gewaltmittel ordnen, wenn nicht in der Gesellschaft Geschichten erzählt und Bilderfolgen gesehen werden, an denen eine Gemeinsamkeit sinnlich erfahren werden kann.“ (S 317)

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    1. https://www.vienna.at/flashmob-mit-der-oebb-carmina-burana-am-wiener-westbahnhof/3273014

      Frage an Aladin El-Mafaalani:

      „Wenn Einwanderungsgesellschaften viel erfolgreicher sind als andere, könnte es dann auch sein, dass jene Demokratien viel erfolgreicher sind als andere, die im Sinne des ‚birepräsentativen Modells‘ eines David Van Reybrouck („Gegen Wahlen“) per Los Vertreter·innen aller sozialer Schichten in der zweiten Kammer regieren lassen?“

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