Das Soziale ist die beste Medizin!

Auf der Suche nach einem guten Leben für alle bietet uns die Geschichte von Dr. Faust eine interessante Vorlage, die wir uns näher ansehen wollen:

Als Margarete ihre Kleider einräumen wollte entdeckt sie ein Schmuckkästchen und fragt sich: „Wie kommt das schöne Kästchen hier herein?“ Verführerisch „hängt ein Schlüsselchen am Band“, sie benützt dieses und probiert schließlich die „Herrlichkeit“ von einer Kette, mit der „eine Edelfrau am höchsten Feiertage gehn“ könnte. Margarete fragt sich: „Was hilft euch Schönheit, junges Blut?“ und kommt zur Erkenntnis: „Man lobt euch halb mit Erbarmen. Nach Golde drängt, am Golde hängt doch alles. Ach wir Armen!“

Reich durch unser Engagement für andere

Werden wir in dem Moment, als unser Herz dem äußeren Glanz verfällt zu lebloser Materie? Was sonst könnte Johann Wolfgang von Goethe mit „alles“ gemeint haben? Jedenfalls sind wir arm, sobald wir nach irdischem Reichtum streben.

Reich hingegen werden wir durch unser Engagement zur Abwendung von absoluter und relativer Armut. Doch an dieser Stelle scheiden sich bereits die Geister. Christoph Butterwegge:

Erfolge im Kampf gegen die relative Armut sind viel schwerer zu erringen als im Kampf gegen die absolute Armut, weil die Einkommensverteilung so beeinflusst werden muss, dass niemand zu weit nach unten vom Mittelwert abweicht. Denn im Unterschied zur absoluten Armut, der man auf karitativem Wege, das heißt mit Lebensmitteltafeln, Kleiderkammern und Möbellagern begegnen kann, erfordert die Bekämpfung der relativen Armut, dass man den Reichtum antastet.

Quelle: Die Verharmlosung der Armut, 2016-10-21

Solidarität, die sich rechnet

Der Kampf gegen Armut und für sozialen Frieden muss nicht mit Entbehrungen verbunden sein, die als belastend empfunden werden. Er darf auch intelligent geführt werden. So, dass am Ende alle siegen.

Beispiel: „Housing first“. Dieses politische Konzept der Unterstützung von Obdachlosen (über-)fordert diese nicht, sondern es gibt. Andere würden stattdessen von den Betroffenen erwarten, „sich einen Job zu suchen und sich von psychischen Problemen oder Suchterkrankungen selbst zu befreien. Erst dann gibt es Hilfe bei der Wohnungssuche.“1

2021-03-18_kontrast-at_housing-firstDabei wäre es so einfach und gleichzeitig hilfreich für die Mitte der Gesellschaft wie für die sozial Ausgegrenzten:

Soziale Ungleichheit schadet allen, also auch den Reichen

Um den Blick frei zu bekommen dafür, müssen wir uns verabschieden von verschiedenen Überzeugungen, die wir uns angeeignet haben im Glauben an die Versprechungen nach mehr Freiheit für alle. Darin ist eine ganz andere Kette verborgen als die, mit der wir uns zu schmücken versuchen. Denn am Ende aller Flexibilisierung steht Burnout, am Ende aller Ausbildungserfolge bleiben die guten Arbeitsplätze knapp und für viele fehlen sie ganz. Dierk Hirschel: „Ein gerechtes Bildungssystem, das alle Kinder zum Abitur und Studium führt, schafft nicht automatisch mehr Verteilungsgerechtigkeit.“ (Das Gift der Ungleichheit, 2020, S 126 f)

Wir müssen keinem Wachstumsfetisch um jeden Preis anhängen, um Studienergebnisse des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der OECD zu akzeptieren, wonach soziale Ungleichheit der Prosperität eines Landes schadet. Anika Stitz und Silke Birgitta Gahleitner in ihrer Rezension zu Gleichheit ist Glück (…) von Richard Wilkinson und Kate Pickett: „Soziale Probleme sind zwar, wie die AutorInnen hervorheben, vermehrt in den ärmeren Schichten einer Gesellschaft festzustellen, aber häufiger in Gesellschaften, die eine hohe Ungleichheit aufweisen.“3

Reich durch den Kampf gegen Erwerbsarmut und Arbeitslosigkeit

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In diesem Sinne machen wir uns allen einen Gefallen, indem wir uns gewerkschaftlich organisieren, auf der Basis von solidarisch-nachhaltigen Konzepten zivilgesellschaftlich vernetzen und gemeinsam mobilisieren. Dazu müssen wir aufklären. Mitunter auch darüber, dass es Gesetze gibt, die es einzuhalten gilt. Wir müssen aber auch aufklären darüber, dass wir der Souverän in unseren Demokratien sind, die hier Lebenden und Arbeitenden, und nicht das Finanzkapital4. Dessen letzter Zweck darf nicht die Maximierung des Profits um jeden Preis sein, sondern es soll uns ein gutes Leben ermöglichen. Andernfalls wären wir als Menschen genauso arm wie Margarete, wenn sie den gefundenen Schmuck nicht von sich weisen würde, indem sie Marthe gegenüber meint: „Ach Gott! der Herr ist gar zu gut: Schmuck und Geschmeide sind nicht mein.“

So gesehen bereichern wir uns im doppelten Sinne, wenn wir einerseits gegen soziale Ausgrenzung auf den Arbeitsmärkten kämpfen und andererseits dafür volkswirtschaftlich prosperieren. Kulturelle Bildung kann uns dabei helfen, sofern wir „unseren Blick für die Potentiale öffnen, die im Spiel der Wirklichkeit stecken.


Anmerkungen

1 | In: „Finnland hat es geschafft: Es gibt fast keine Obdachlosen mehr!„, veröffentlicht am 10. 11. 2020, 9:21 MEZ

2 | Dierk Hirschel in Das Gift der Ungleichheit: „Die Lohnspreizung spiegelt sich auch in den Monatslöhnen wider. Monatslöhne sind ungleicher verteilt als Stundenlöhne, da die Arbeitnehmer unterschiedlich lange arbeiten. Niedriglohnbezieher schufteten unfreiwillig weniger.“ (S 27) Wie sich Ungleichheit zudem negativ auf alle Steuerzahlenden auswirkt: „Die Ungleichheit in der Primärverteilung ist gewaltig. Was in der ersten Runde der Einkommensverteilung schiefläuft, kann der Staat anschließend nur mühsam mittels Steuern, Abgaben und Transfers korrigieren. Umgekehrt entlastet eine egalitäre Primärverteilung den Staat, da er dann weniger bedürftige Bürger unterstützen muss. Der soziale Ausgleich und somit die Wirksamkeit des Sozialstaats lässt jedoch nach.“ (S 29)

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3 | Anika Stitz/Silke Birgitta Gahleitner. Rezension vom 07.06.2011 zu: Richard Wilkinson, Kate Pickett: Gleichheit ist Glück. Warum gerechte Gesellschaften für alle besser sind. Haffmans & Tolkemitt (bei Zweitausendeins) 2009. 2. Auflage. ISBN 978-3-942048-09-5. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/11444.php, Datum des Zugriffs 30.03.2021

4 | Zwei Aspekte sind hier zu erwähnen, die einander verstärken: einerseits führt Arbeitslosigkeit und materielle Armut neben gesundheitlichen Folgen auch zu sozialer und politischer Ausgrenzung zB durch eine geringere Wahlbeteiligung und andererseits wirkt „selektive Responsivität“ im Rahmen der Gesetzgebung.

Dr. Joseph Kuhn am Schluss seines Beitrages „Soziale Ungleichheit und Gesundheit. Ergebnisse aus der bayerischen Gesundheitsberichterstattung“ resümierend: „Zu starke soziale Ungleichheit scheint, wie internationale Studien zeigen, gesundheitlich für alle abträglich zu sein, auch für die wohlhabenderen Gruppen (Wilkinson/Pickett 2010). Von einer erfolgreichen Umsetzung des „Health in all Policies“-Ansatzes würde also die Gesellschaft insgesamt profitieren.“ (S 15)

Mit anderen Worten: Das Soziale ist die beste Medizin! (S 6)

Dieser mittlerweile oft zitierte Gedanke wurde vermutlich erstmals von Ilona Kickbusch als Bezeichnung verwendet für ihren gleichnamigen Vortrag auf dem Kongress „Armut und Gesundheit“ im Dezember 2000.

Aus der Fülle konkreter Anwendungen seien Social Prescribing und gesellschaftliche Teilhabe genannt. Die Rahmenbedingungen dafür und für jede weitere soziale Innovation sind so zu gestalten, dass sie diese zeitnah und bundesweit fördern.


Nachsatz

Was muss geschehen, dass Gesetze und Verordnungen „das Soziale als die beste Medizin“ fördern? Aktionismus wird dazu nicht reichen, denn wie wir gesehen haben, konnten 100.000 Demonstrierende gegen den 12-Stunden-Tag diesen nicht verhindern. Jahre später gibt es ihn noch immer, inklusive der geöffneten Tür zur Sonntagsarbeit. Vermutlich werden wir so etwas wie eine zivilgesellschaftliche Mitentscheidung brauchen, zB in Form von Räten bei der Formulierung von Gesetzen und Verordnungen oder als Kontrollinstanz.

Auch innerhalb der Interessensvertretungen gilt es hinsichtlich der Zielabwägungen aufzupassen. Insbesondere dann, wenn der „Health in All Policies„-Ansatz als Argument dafür dient, um in einer zunehmend von Erwerbslosigkeit und prekären Arbeitssituationen gebeutelten Arbeitswelt einen späteren Pensionsantritt zu unterstützen (siehe FSG-Antrag 8).

Glasperlenspiel

2017-03-03_kulturpreis_empfehle-uns-deine-favoritinUm postdemokratischen Tendenzen in unseren Gesellschaften proaktiv zu begegnen, benötigen wir nach Colin Crouch u. a. „Maßnahmen, die darauf zielen, die wachsende Dominanz der ökonomischen Eliten zu begrenzen.“

Im Vorfeld derselben – zB eines Rates zur Förderung von Gemeinwohl – könnte ein Veranstaltungsformat das Ziel haben, Mitglieder dafür zu werben und zu wählen. Eine Aufgabe dieser Institution sollte dabei die Förderung von Chancengerechtigkeit sein. Für Margit Fischer bedeutet sie, „den einzelnen Menschen in Wettbewerbssituationen – sei es der Zugang zur Bildung oder der Zugang zu gesunden Lebensbedingungen etc. – gleichartige Ausgangspositionen einzuräumen.“ Soziale Ungleichheit würde sich damit allerdings noch nicht aus der Welt schaffen.

Die von John Kenneth Galbraith erstmals in diesem Zusammenhang erwähnte und von Sir Anthony B. Atkinson in Ungleichheit mehrfach genannte „Gegenmacht“ ist insofern zu organisieren und attraktiv zu gestalten, wenn wir ausgehend von der Mitte unserer Gesellschaften auch deren Ränder wieder stärken wollen. Hermann Hesse gibt uns in seinem Werk Glasperlenspiel diese Hinweise, die es dabei zu berücksichtigen gilt:

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Neben der erforderlichen Attraktivität dieser Veranstaltungen lässt die von Hesse beschriebene Zukunftswelt noch weitere Vergleiche zu. Einer davon ist das Spiel an sich: spielerisch lernen wir uns zu entwickeln. Ein weiterer ist die mögliche Konsequenz für uns im Einzelnen, als auch für unsere Zivilisationen, wenn wir die Zeichen der Zeit missachten: verzückt durch die „schöne Sonne“ (S 469) wollen wir nicht wissen, wie der Wettkampf mit ihr durch eiskalte Gletscherwasser endet.

Dabei könnten wir unser Glück auch auf friedlichen Wegen erreichen, ohne eigene oder fremde Opfer zu riskieren. Sir Karl R. Popper entwarf hierzu folgendes Bild:

Um einer weiteren „Versklavung der ökonomisch Schwachen“* erfolgreich Einhalt zu gebieten, „müssen wir die ‚bloß formale Freiheit‘ einführen. Und sobald uns das gelungen ist, sobald wir gelernt haben, sie zur Kontrolle der politischen Gewalt zu verwenden, von diesem Augenblick an hängt alles von uns selbst ab. Wir dürfen nicht mehr andere Menschen tadeln, wir dürfen auch nicht die dunklen ökonomischen Dämonen hinter der Szene anklagen. Denn in einer Demokratie besitzen wir den Schlüssel zur Kontrolle der Dämonen. Wir können sie zähmen. Es ist wichtig, daß wir diese Einsicht gewinnen und die Schlüssel gebrauchen; wir müssen Institutionen konstruieren, die es uns erlauben, die ökonomische Gewalt auf demokratische Weise zu kontrollieren und die uns Schutz vor der ökonomischen Ausbeutung gewähren.“*

2017-03-03_postkarten_oekonomie-des-vertrauens_spielende-kinder-auf-der-stiegeGewiss bezieht sich Karl Popper hier insbesondere auf „die Kontrolle der physischen Gewalt und der physischen Ausbeutung“* als „zentrale(s) politische(s) Problem“*. Und dennoch liegt er – trotz der Kenntnis um die verschiedensten Formen von Gewalt – damit sehr nahe am Kern, an dem der erste Hebel anzusetzen ist, wenn wirtschaftliche Rahmenbedingungen Gesundheit gefährden und Leben verkürzen. Peter Schallenberg beschreibt das so:

„Papst Gelasius I. (492-496) entfaltet schließlich die augustinische Zwei-Reiche-Lehre zur Zwei-Gewalten-Lehre, und dies ist dann in der Tat neu gegenüber dem politischen Denken der heidnischen Antike, aber konsequent in der Weiterentwicklung der politischen Eschatologie des Alten Testaments. Zugleich damit entfaltet sich die Differenzierung von sakramentalem forum internum und politischem forum externum, die zwar voneinander unterschieden bleiben – und daher auch Staat und Kirche, Politik und Religion unterschieden sind – und dennoch aufeinander bezogen sind, und zwar in der augustinischen Rangfolge des Innen vor dem Außen: erst eine innere Bekehrung verwandelt die äußeren Umstände, aber zugleich stützen und ermöglichen äußere gerechte Zustände eine innere Bekehrung des Menschen zum Guten, der ohne äußere Gerechtigkeit der inneren Lieblosigkeit zum Opfer fiele.“**

Aktiv an der FAIRänderung wirtschaftlicher Rahmenbedingungen mit zu gestalten heißt, das Wohl der sonst Leidenden zu verbessern, „da soziale Sicherheit zu wirtschaftlicher Effizienz, Stabilität und Kontinuität in der Gesellschaft beitragen“***. Sich mit voller Kraft dafür einsetzen gefährdet den sozialen Frieden weniger, als dies zu unterlassen, denn mit Popper können wir sagen: in der Demokratie besitzen WIR durch die Herrschaft des Staatsvolkes die Schlüssel zur Kontrolle der Dämonen und aus unseren Erkenntnissen heraus MÜSSEN wir Institutionen konstruieren, die die ökonomische Gewalt auf demokratische Weise kontrollieren und so Schutz gewähren vor ökonomischer Ausbeutung!

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*| Karl R. Popper, in: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde 2, München: Francke, 1980, 6. Aufl., S 159 – weitere Textausschnitte

**| Peter Schallenberg, in seinem Vorwort: „Die franziskanische Spiritualität und eine christliche Moralökonomie“ zur deutschen Ausgabe: Zivilökonomie, Paderborn: Ferdinand Schöningh, 2013, S 23  – weitere Textausschnitte

***| Harald Bretschneider, in seinem Referat „Diakonie und Wettbewerb“ während der 3. Tagung der 9. Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland, Münster, 1. bis 6. Nov. 1998

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Aus Sicht der Katholischen Soziallehre ist Armut zumeist Ergebnis von strukturellen Barrieren, die Menschen in ihren Möglichkeiten begrenzen und sie somit in ihrer persönlichen Entwicklung und Freiheit, in Würde zu leben, einschränken. Sie zeigt sich in vielfältiger Weise und lässt sich nicht allein auf einen Mangel an finanziellen Mitteln reduzieren, sondern bezieht sich auf alle Aspekte des Lebens, die persönliche Entwicklung hemmen. Dies schließt einen unzureichenden Zugang zu Bildung, Sozialdienstleistungen und Energie, aber auch die Folgen der Umweltzerstörung mit ein.

aus: COMECE-Erklärung vom 12.12.2016 „Verschafft Recht den Unterdrückten“ (Psalm 82,3)

… es geht um einen Ausgleich (2Kor 8,13)

Um den verschiedenen Formen struktureller Ausgrenzung wirksam begegnen zu können, bedarf es in einem demokratischen Staatswesen einer reflektierendenlebendigen Kraft aus der Mitte der Gesellschaft. In ihr spiegelt sich „eine Vielfalt und eine Verschiedenheit, die der Einheit nicht nur nicht im Wege stehen, sondern ihr im Gegenteil den Charakter der ‚Communio‘ verleihen“ (Communionis notio 15).

Wie die europäischen Bischöfe in ihrer COMECE-Erklärung vom 12.12.2016 die EU auffordern, „ihren Dialog mit allen relevanten Akteuren zu verstärken„, ebenso sehr sind wir im Rahmen der

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Diakonie auf nationaler Ebene aufgefordert, den Interessensausgleich zwischen verschiedenen Anspruchsgruppen zu suchen und strukturell zu manifestieren. Ohne diese Bemühungen blieben viele weiterhin arm! Dazu ist auch jene Wortspende von Diözesanbischof Manfred Scheuer anlässlich des Tages der Arbeitslosen 2017 zu zählen: „Durch die Erwerbsarbeit und die Höhe des daraus resultierenden Einkommens werden Menschen bewertet. In einer solchen Gesellschaft werden arbeitslose Menschen und Menschen ohne Erwerbschance buchstäblich ‚wertlos‘ gemacht.“

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Aus der Mitte der Gesellschaft empfohlene und gewürdigte Organisationen aus der Zivilgesellschaft oder Menschen aus Politik, Wirtschaft, Kunst & Kultur oder ökosozialen Diensten können die mit dem Interessenausgleich verbundenen Aufgaben zB im Rahmen eines nationalen ÖkoSozialRates – zB in der Version eines Bundes- & Gemeinwohlrates – leisten und so die erforderlichen Brückenfunktionen erfüllen. Diese bestehen zuerst darin, die Themen der Ausgegrenzten & Randgruppen in den Vordergrund zu rücken, ganz nach dem Motto des schwächsten Gliedes, an dem die Kette – in unserem Fall die Gemeinschaft – zu brechen droht. Denkbar ist auch ein Meinungsaustausch mit parteipolitischen Interessenvertreter*innen im Sinne von Town-Hall-Meetings. Dies erfordert jedenfalls unser Engagement für die Wahl unserer Vertreter*innen in einen ÖkoSozialRat als GemeinWohlRegierung, denn die Verantwortung für die Gestaltung eines friedlichen Miteinander beginnt bei uns.

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Friedrich L. Sell und Marcus Wiens in Gesellschaftspolitik: Überwindung des Vertrauensdilemmas kann erfolgen durch

  • gegenseitige Sympathie
  • Information/hoher Wissensstand übereinander
  • wiederholte Interaktionen und
  • Moral

Aus einer christlich-moralökonomischen Sicht liest sich das so: „… erst eine innere Bekehrung verwandelt die äußeren Umstände, aber zugleich stützen und ermöglichen äußere gerechte Zustände eine innere Bekehrung des Menschen zum Guten, der ohne äußere Gerechtigkeit der inneren Lieblosigkeit zum Opfer fiele.“ (Peter Schallenberg, in: Zivilökonomie, 2013, S 23)

2017-02-22_ehemaliger-header-auf-twitter_regionale-wirtschaftsstrukturen-fuer-generationen_mit-schallenberg-zitat

Diese und die Seite „FAIRteilung“ zum Download als pdf


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Qualifizierte Erwerbslose

2017-02-23_ooe-nachrichten_arbeitsmarkt-oesterreich-arbeitslose-offene-stellen_bis-2013
Grafik 1: Arbeitsmarkt in Österreich

Wenn knapp 500.000 Erwerbsarbeit Suchende mit rund 40.000 offenen Stellen (Datenlage von Anfang 2017) konfrontiert sind, wie sehr steigen dann ihre Chancen, durch Qualifizierung einen Vollerwerbsarbeitsplatz angeboten zu erhalten? Die Beantwortung dieser Frage erfordert lediglich die Kenntnis der Grundrechnungsarten.

Dennoch wird immer wieder versucht, die Schuld bei den Betroffenen zu finden:2017-02-23_der-standard_was-der-kern-vorschlag-am-arbeitsmarkt-bringt_s-17

Doch so einfach ist die Sache nicht und die Geschichte lehrt uns, dass es auch anders geht:

Vollbeschäftigung führte in Österreich am Beginn der 1970er-Jahre zu einer Umkehrung der Kräfteverhältnisse auf dem Arbeitsmarkt (siehe Grafik 1): die Anzahl der offenen Stellen überstieg jene der vorgemerkten Arbeitslosen. Die aus der „Knappheit an Arbeitskräften (resultierenden) Kräfteverhältnisse auf dem Arbeitsmarkt zugunsten der ArbeitnehmerInnen“* bewirkten, dass 1975 die 40-Stunden-Woche eingeführt wurde.

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Stephan Schulmeister: Solange die Zahl der Arbeitssuchenden ein Vielfaches der Zahl der offenen Stellen beträgt, reichen Qualifikationsmaßnahmen nicht.

Die Liberalisierung verschiedener Märkte und die Öffnung der Grenzen kehrte diese Kräfteverhältnisse um und stärkte international agierende Investoren zulasten regional tätiger Unternehmen und deren Beschäftigten. Die Folgen davon waren steigende Gewinnquoten und sinkende Lohnquoten:

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Mit der Liberalisierung der (Finanz-)Märkte kam die „Ungleichheitswende“. Die in den 1970ern in Gesetze geschriebene Solidarität hielt in Österreich noch bis Mitte der 1980er.

Mit anderen Worten: die Früchte** der Wertschöpfung in den jeweiligen Ländern ernteten zunehmend Unternehmen, während der Anteil für die Beschäftigten schrumpfte.

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Robert Sommer (Augustin): Wer marginalisiert ist, arbeitet für jeden Lohn.

In seinem letzten großen Werk „Ungleichheit“ lässt Sir Anthony B. Atkinson die dahinter stehende Lobbyarbeit zugunsten der Wenigen, die davon profitieren, durch den Vorsitzenden der Börsenaufsichtsbehörde SEC (Securities and Exchange Commission) erläutern. Dieser „beschrieb, wie ‚Gruppen, die Wall-Street-Firmen, Investmentgesellschaften, Wirtschaftsprüfungsunternehmen oder Konzernmanager vertraten, sofort ihren Einfluss geltend machten, um selbst geringfügige Gefahren abzuwehren. Einzelne Investoren, die keine Gewerkschaften oder Wirtschaftsverbände hinter sich hatten, um ihren Forderungen in Washington Nachdruck zu verleihen, wurden vor vollendete Tatsachen gestellt.’“***

Atkinson folgerte daraus:

„Deutlicher lässt sich die Notwendigkeit einer Gegenmacht nicht zum Ausdruck bringen.“ (S 143)

„Wenn Menschen auf Null-Stunden-Verträge ohne Lohngarantie eingehen, so deshalb, weil sie auf dem Arbeitsmarkt machtlos sind. Wie erwähnt, müssen wir Vorkehrungen treffen, um ein gerechtes Machtgleichgewicht zwischen den Parteien solcher Verhandlungen herzustellen – mit anderen Worten, wir müssen die Gegenmacht der Verbraucher und Arbeitnehmer stärken.“ (S 191)

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Wir sollten uns Atkinson und vielen anderen anschließen, die sich für mehr Gerechtigkeit in der Wirtschaft einsetzen, denn … „es geht um einen Ausgleich“ (2Kor, 8,13).


*| Markus Marterbauer: Soziale Dienstleistungen, Arbeitszeitverkürzung, Vermögensbesteuerung – Elemente einer emanzipatorischen Sozial- und Wirtschaftspolitik in Europa; in: Kurswechsel 2/2014, S 49

**| Papst Franziskus in seiner Ansprache beim Welttreffen der Volksbewegungen am 9. Juli 2015: „Die gerechte Verteilung der Früchte der Erde und der menschlichen Arbeit ist keine bloße Philanthropie. Es ist eine moralische Pflicht.“ … und am 6. Mai 2016 setzt er anlässlich der Verleihung des Karlspreises fort: „Wenn wir unsere Gesellschaft anders konzipieren wollen, müssen wir würdige und lukrative Arbeitsplätze schaffen, besonders für unsere jungen Menschen.

Das erfordert die Suche nach neuen Wirtschaftsmodellen, die in höherem Maße inklusiv und gerecht sind. Sie sollen nicht darauf ausgerichtet sein, nur einigen wenigen zu dienen, sondern vielmehr dem Wohl jedes Menschen und der Gesellschaft.“

***| Anthony B. Atkinson, in: Ungleichheit, Stuttgart: Klett-Cotta, 2016, S 143; Zitat: Hacker und Pierson, „Winner-Take-All Politics“, S 192


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Unfrei durch Überstunden

Vollbeschäftigungs-Initiative 23

Investitionen sollen sich lohnen

Unfrei durch Überstunden

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Die folgende Geschichte zeigt, wie unfrei die Arbeitswelt abseits von Vollbeschäftigung ist, obwohl bestehende Schutzbestimmungen dies verhindern sollten. Dennoch wird versucht, die Flexibilisierung weiter voran zu treiben.

Wenn Stimmung gemacht werden soll für eine Erhöhung der Normalarbeitszeit auf 10 Stunden pro Arbeitstag, dann lädt die zuständige Interessenvertretung in der Steiermark ein in ihren Europasaal. Thema des Abends war: Arbeitszeitflexibilisierung: Für beide Seiten ein Gewinn? Um Konsens bemüht, wurde auch der Spitzenvertreter der anderen Interessen eingeladen.

207-02-21_armutskonferenz_wilkinson_lebensqualitaetIn meiner Wortmeldung aus dem Publikum erwähnte ich, wie sehr ein Freund von mir unter dem Druck des unfreiwilligen 11 bis 12-Stunden-Arbeitstages zu leiden hat. Vor wenigen Jahren hatte er mir erzählt, wie ein externer Berater des international tätigen Unternehmens darauf drängte, nie mehr als 10 Stunden pro Tag zu arbeiten. Daraufhin stempelte sein Kollege fortan bei Erreichen dieses Limits aus und arbeitete gratis weiter. Die Chancen auf dem Arbeitsmarkt abseits von Vollbeschäftigung zwingen dazu. Nun ist er selbst in dieser misslichen Lage, denn mit über 50 Jahren und Krediten für das Haus gibt es auch für ihn mittlerweile keine Alternative.

Unmittelbar danach wurde ich darauf hingewiesen, dass es sich bei diesem Unternehmen wohl um ein schwarzes Schaf handeln würde.

Am Ende der Veranstaltung fühlte sich der Vertreter eines anderen renommierten Unternehmens in Graz besonders schlau, indem er sich an mich wandte mit dem Argument, dass mein Freund unter flexibleren gesetzlichen Rahmenbedingungen diese Mehrleistung monetär abgegolten bekäme. Führungskräfte, die derart unsensibel auf illegale Vorkommnisse in der Arbeitswelt reagieren, führen weniger im positiven Sinne, als sie vielmehr versuchen zu verführen. Hans-Joachim Gergs:

Der Schlüssel zum Ganzen ist die geistige Haltung des Managements.“.

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Mit dem Verweis auf den globalen Wettbewerb kann in der Bevölkerung und gewiss auch bei vielen Funktionär*innen – aus welchen Gründen auch immer – gepunktet werden, um betriebswirtschaftlich argumentierte Einzelinteressen durchzusetzen. Die Geschichte lehrt uns allerdings, dass Globalisierungseffekte auch soziale Aspekte in den Vordergrund der politisch Handelnden rücken können – und dies angesichts überzogener, nationalistischer Bestrebungen auch sollten. Sir Anthony B. Atkinson meinte dazu in Ungleichheit – Was wir dagegen tun können:

„Es ist ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass der moderne Wohlfahrtsstaat in dieser Globalisierungsphase vor dem Ersten Weltkrieg entstand, denn es wird gelegentlich behauptet, er habe seinen Ursprung in der Zwischenkriegszeit. …
Richtig ist auch, dass die Leistungen der verschiedenen europäischen Sozialsysteme in der Zwischenkriegszeit ausgeweitet wurden. … So schrieb 1913 ein amerikanischer Beobachter, … ‚die Bewegung für die Sozialversicherung ist eine der wichtigsten Weltbewegungen unserer Zeit.'“. (S 339)

Dass es mitten in Europa auch Länder gibt, die einen ausgeglicheneren Weg beschreiten, um wirtschaftlich zu reüssieren und gleichzeitig glücklicher zu sein, diese Fakten werden von gut dotierten Überzeugungsarbeiter*innen dennoch gerne unter den Tisch gekehrt.

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Arbeitszeitflexibilisierung: Zukunftsvision oder Rückschritt?

Wege aus der Krise fordert die Einführung einer Abgabe für gesundheitsschädliche Überstunden

Mehr Freiheit für weniger Bildung

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In der großen französischen Revolution des Jahres 1789 ging es den Aufständischen um liberté (Freiheit), égalité (Gleichheit – vor dem Gesetz) und fraternité (Brüderlichkeit – wird heute oft mit Geschwisterlichkeit übersetzt). Von Bildung war da trotz des längst angebrochenen humanistischen Zeitalters keine Rede. Im Vordergrund stand der blutige Kampf gegen die absolute Herrschaft des Königs.

Sind wir heute – weit über Frankreich hinaus – nicht wieder in einer ähnlichen Situation? Werden Erwartungs- und Leistungsdruck auf Erwerbstätige, Kinder oder Ausgegrenzte nicht bereits ohnehin standardgemäß bis zum Burnout ausgereizt? Und dennoch lässt der Druck zB auf eine längere Normalarbeitszeit weiterhin nicht nach …

2017-02-19_karrieren-standard_interview-heinzlmaier_ausbau-bildungsinstitutionenWer in dieser Situation noch meint: „Wir brauchen dringend einen Ausbau der Bildungsinstitutionen für das untere, prekäre bis abgekoppelte Drittel der Gesellschaft.“, handelt er dann nicht fahrlässig in dem Sinne, dass er damit – trotz Beteuerung, „kein Freund von Pflichten“ zu sein – genau bei jenen den bereits vorhandenen Druck erhöht, denen er helfen möchte? Betrachten wir die Situation beim heranwachsenden oberen Drittel der Gesellschaft,  dann sind auch hier „Bildungsmängel“ zu konstatieren, insbesondere dann, wenn „italienische Uniprofessoren“ meinen, „Studenten können nicht rechtschreiben“.

Ist es nicht vielmehr so, dass die ältere und damit erfahrenere Generation die entstehenden Bildungslücken frühzeitig erkennen hätte können, um ihnen präventiv zu begegnen? Stellt die selbe Generation Sozialisations- und Habitusdefizite fest, dann frage ich mich: und was hat sie dagegen bisher unternommen?

2017-02-19_karrieren-standard_interview-heinzlmaier_sozialisations-und-habitusdefizite

Sollten sich die solcherart Kritisierenden nicht konsequenterweise an  ihre eigenen Schützlinge wenden mit dem Hinweis „es ist Zeit, etwas zu tun“?

Verantwortung an Politik, Schule, Universitäten zu übertragen ist der eine Weg; der andere ist, der Jugend die Freiheit zu gewähren, die ihr zusteht. Diese über mögliche Folgen ihres Handelns „aufzuklären“ ist nicht Aufgabe jener, die an dieser Jugend Defizite feststellt. Es ist schließlich IHRE Zukunft, die sie – womöglich, weil nix is fix! – bereits von Beginn weg vernachlässigt. Wer weiß, vielleicht ist das einmal die effektivere Alternative zu jener Entwicklungshilfe, die Länder wie Österreich lieber auf einem selbstverpflichtenden Papier, als in barer Münze leisten.

Und mit der Freiheit wächst auch die FAIRantwortung.


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Ungleichheit und Rechtspopulismus

Jenseits diktatorischer Ansprüche liegt unsere Freiheit, und die macht, sofern sie von uns zB in Form von Mindestlöhnen genutzt wird, glücklicher > siehe Gleichheit ist Glück: Warum gerechte Gesellschaften für alle besser sind

Mindestlöhne verringern Ungleichheit

Der in Aarhus lehrende Politikwissenschafter Alexander Horn berichtet in „Menschen & Mächte: Arbeiten bis zum Umfallen?„, dass wir in Österreich, Deutschland und in vielen anderen Ländern Kontinentaleuropas gegenüber Dänemark „ein deutlich größeres Maß an Ungleichhheit haben, was die Einkommen angeht“. Ihm zufolge gibt es in Dänemark auch Friseure, die ein „Häuschen“ bauen und das habe damit zu tun, dass es „sektorenspezifische Mindestlöhne“ gibt.

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Horn berichtet über Fakten; doch …

was sagt die Wissenschaft dazu?

Eine der Lieblingsfragen von Anthony B. Atkinson an seine Studierenden war: „Verursacht ein Mindestlohn Arbeitslosigkeit, wenn er über dem Marktlohn festgesetzt wird?“ (Ungleichheit, S 318). Wie erwartet antworteten sie wie aus dem Lehrbuch und erklärten die daraus folgende Arbeitslosigkeit mit einer fallenden Nachfragekurve bei gestiegenen Löhnen. Seine Meinung hingegen war, dass es „mehr als einen Lohn (gibt), der Angebot und Nachfrage ins Gleichgewicht bringt“ (S 319). Die Gründe dafür sind verschieden, eine höhere Produktivität ist der eine: „Sobald die Arbeitgeber erkennen, dass sie durch höhere Löhne größere Produktivität erzielen können, handeln sie nicht mehr nach dem Prinzip der vollkommenen Konkurrenz: Sie handeln als Lohnsetzer.“ (S 320)

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Atkinson weiter: „Höhere Löhne können auch ein Mittel sein, Mitarbeiter an die Firma zu binden und dem Arbeitgeber dadurch Fluktuationskosten zu ersparen. Der Effizienzlohn kann aber auch bei der Einstellung eine Rolle spielen. Möglicherweise hat der Arbeitgeber nur unzulängliche Informationen über die Produktivität einzelner Bewerber. Wenn er einen höheren Lohn anbietet, lockt er unter Umständen Kandidaten an, die sich für höher qualifiziert halten als andere Bewerber.“ (S 322). Gewiss, allerdings ist dieses Argument nicht mehr zutreffend, sobald alle Arbeitgeber einen Mindestlohn nicht unterschreiten dürfen. Doch Atkinson antwortet darauf wie folgt:

„Nehmen wir an, der Mindestlohn wird eingeführt. Um wirksam zu sein, muss er über der vom Arbeitgeber gewählten Höhe liegen, so dass dieser einen höheren Betrag zahlen muss. Entscheidend ist aber, dass beim Effizienzlohn auch ein Gewinn für den Arbeitgeber herausspringt; der Extralohn verursacht nicht nur reine Kosten. Denn dank dem gesetzmäßig erhöhten Lohn muss der Arbeitgeber jetzt nicht mehr so stark kontrollieren, um Drückebergerei zu verhindern, weil der Verlust des Arbeitsplatzes für den Arbeitnehmer mit höheren Kosten verbunden wäre (es ist auch möglich, dass der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber jetzt mehr Loyalität entgegenbringt). Wenn das Beschäftigungsniveau sowohl vom Lohn als auch von den Kontrollkosten beeinflusst wird, gibt es eine Gegenkraft.“ (S 322)

Diese und andere Gründe können so zu einer von Politikern häufig geforderten ‚Hochlohnwirtschaft‚ führen.

Parlament der Arbeit Suchenden

Eine Einladung zur Mitgestaltung demokratischer Prozesse auf dem Weg zu einer gerechter verteilenden Arbeitswelt

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SN-Bildunterschrift: Die documenta 14 appelliert an das Publikum, kollektiv Energie zu mobilisieren und zu handeln.

Erwerbsarbeit zu suchen ist in einer zunehmend arbeitsteilig organisierten Wirtschaftswelt unumgänglich, um den Lebensunterhalt für sich und bei Bedarf auch für Angehörige zu verdienen. In Zeiten sich weiter ausbreitender Prekarisierung auf den Arbeitsmärkten wird diese Aufgabe nicht leichter; und selbst nach der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens wird es darum gehen, sich für ein Recht auf Arbeit und angemessene Entlohnung zu bemühen.

Durch Erwerbsarbeit der Armut zu entkommen ist nur ein mögliches Handlungsfeld für die Arbeit eines Parlaments der Arbeit Suchenden. Die Förderung der „freien Berufswahl“ wäre ein weiteres, ebenso wie das Schließen der Einkommensschere durch verschiedene Maßnahmen.

Wer sind die möglichen Nutznießenden eines erfolgreich tätigen Parlaments der Arbeit Suchenden?

Die Zahl der Arbeit Suchenden geht weit über jene der aktuell Erwerbslosen hinaus. Knapp eine Million Menschen sind in Österreich jährlich von Arbeitslosigkeit betroffen. Zudem wird der Anteil jener rapide größer, die mit ihren derzeitigen Arbeitsverhältnissen unzufrieden sind.

Nehmen wir also an, Sie suchen daher – aus welchen Gründen auch immer – nach Alternativen zu Ihrem derzeitigen Arbeitsplatz. 2017-01-28_gallup_engagement-index-2001-2015Wann glauben Sie, wird sich diese Situation für Sie verbessern: bei zunehmender Arbeitslosigkeit oder bei Vollbeschäftigung?

Eine gerechtere FAIRteilung der Arbeitsmenge würde den Freiheitsgrad für Ihre Suche nach (einem alternativen) Arbeitsplatz erhöhen. Um dies zu bewerkstelligen bedarf es einer „größere(n) Vielfalt … neben den üblichen Vertretern von Arbeitgebern, Gewerkschaften und Regierung“ (Atkinson, S 172). Konstatieren wir „unfreiwillige Teilzeitbeschäftigung“ und „prekäre Arbeitsverhältnisse“ als einen Ausdruck von Ungleichheit, dann können wir mit dem selben Autor feststellen: „Wenn das stimmt, können Maßnahmen zur Verringerung der Ungleichheit nur dann erfolgreich sein, wenn es gelingt, Gegenkräfte zu mobilisieren.“ (Atkinson, a. a. O., S 111)

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Wenn Anthony B. Atkinson ab 1980 eine Ungleichheitswende festgestellt hat, dann sehen wir an dieser Grafik, was er damit gemeint haben könnte. Um in Zeiten niedriger Wachstumsraten die Marktverhältnisse von damals wieder herzustellen, bedarf es politischer Anstrengungen, die nur mit vereinten Kräften „von unten“ erfolgreich zum Ziel = Vollbeschäftigung für ALLE“ geführt werden können.

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Eine langfristig über der Vollbeschäftigung liegende Erwerbslosenrate hat ja nicht nur unmittelbare Auswirkungen auf die Betroffenen, sie wirkt auch dämpfend auf die Lohnsituation der Arbeitenden. Insofern ist es nur logisch, dass sich auch jene, die (derzeit noch) in einem Arbeitsverhältnis leben (dürfen), um die Anliegen und die negativen Auswirkungen der vom Arbeitsmarkt unfreiwillig Ausgegrenzten interessieren und sich für deren Begehren einsetzen, weil sie sich (heute schon und morgen vielleicht noch mehr) ebenso sehr in IHRER Existenz bedroht fühlen (sollten/werden).

Einladung zur Mitwirkung

Um unseren in Bedrängnis geratenen Sozialstaaten unter die Arme zu greifen 2017-02-08_marketwatch_piketty_grafik-einkommensscherekann ein Parlament* der Arbeit Suchenden an jedem beliebigen Ort zB in Form eines Workshops tagen.

Lassen Sie sich hierzu von den Veranstalter*innen einladen und bringen Sie zu bestimmten Fragen Ihre Ideen, Anregungen, Visionen für ein besseres Leben in die Debatten ein. Zur Erzielung einer starken gemeinsamen Stimme sollten sich die Betroffenen um den Aufbau einer zivilgesellschaftlich legitimierten Gegenmacht bemühen mit dem Ziel, die Institution einer ZivilFAIRsammlung zu gründen.

Wir** freuen uns auf zahlreiche Engagements im Sinne des gemeinsamen Interesses zur Förderung „guter ARBEIT„.

Noch Fragen? Wenn ja, dann verwenden Sie, bitte, dieses Formular:

*| Der Begriff „Parlament der …“ ist angelehnt an das von der Armutskonferenz organisierte „Parlament der Ausgegrenzten“. Mein Thema bei der zweiten Durchführung im Jahr 2016 war Vollbeschäftigung.
**| „Wir“, das sind der Verein AMSEL und Partnerorganisationen

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Gegenmacht

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„In seinem Buch ‚Der amerikanische Kapitalismus im Gleichgewicht der Wirtschaftskräfte‘ (‚American Capitalism‘) schrieb er Anfang der fünfziger Jahre auf, wie wenig die Wirklichkeit mächtiger Konzerne seines Erachtens mit der Theorie vollkommener Märkte zu tun hatte. Das System funktioniere nur, weil die Industriegiganten auf eine Gegenmacht in Form von Gewerkschaften und anderen gesellschaftlichen Gruppen treffen. Wo dieser Gegenpol nicht zustande komme, müsse der Staat einspringen und selbst das Gleichgewicht der Kräfte wiederherstellen.“

Uwe Jean Heuser im Vorwort zu: Die Ökonomie des unschuldigen Betrugs von John Kenneth Galbraith, S 15

Als humane (Staats-)Wesen sind wir eingebettet in kulturell inspirierte und zum Teil in Gesetzen ausgedrückte soziale Landschaften. Diese werden bestimmt durch gesellschaftliche Kräfte, auf die wir gestaltend Einfluss nehmen können und – mitunter – auch sollten! Wissend um die „Ungleichheitswende“ (Sir Anthony B. Atkinson) in den 1980er-Jahren liegt es an uns, sich regional bis weltweit dafür e2017-02-03_sozialfeld-nach-bourdieu_vereinfacht_blog-arbeit-wirtschaftinzusetzen, die seither blühende und krank machende Ungleichheit auf das bereits erprobte Niveau (davor) zu heben.

Eine „gerechte Steuerpolitik“ und eine „Bildungspolitik für mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt“ sind nur zwei der möglichen Schritte auf unserem Weg, Armut und prekäre Lebensverhältnisse erfolgreich zu bekämpfen. Damit können auch drohende oder bereits vorhandene „gesellschaftliche Bruchlinien“ reduziert werden – u. a. aus diesem einfachen Grund: weil vielen bisher Benachteiligten mehr Perspektiven bei ihren Entscheidungsfindungen eröffnet werden. So bietet eine reguläre Anstellung auf dem ersten Arbeitsmarkt für rund die Hälfte der zuvor Erwerbslosen einen Schritt aus der Armut.

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Die FAIRteilungsmacht liegt in den Händen der Nationalstaaten


Doch die MACHTverhältnisse auf den Arbeitsmärkten sprechen gegen Erwerbslose und prekär Beschäftigte. Atkinson formuliert dies so:

„In erheblichem Maße erwächst das Marktergebnis gegenwärtig aus der Verhandlungsmacht der verschiedenen Teilnehmer. Wenn Menschen auf Null-Stunden-Verträge ohne Lohngarantie eingehen, so deshalb, weil sie auf dem Arbeitsmarkt machtlos sind. Wie erwähnt, müssen wir Vorkehrungen treffen, um ein gerechtes Machtgleichgewicht zwischen den Parteien solcher Verhandlungen herzustellen – mit anderen Worten, wir müssen die Gegenmacht der Verbraucher und Arbeitnehmer stärken.“ (Ungleichheit, S 191)

Am sinnvollsten wird es sein, wenn die Betroffenen sich organisieren und selbst stärken. ZivilFAIRsammlungen und ihre Ergebnisse überregionaler und interdisziplinärer Kooperationen könnten diesbezüglich wesentliche Beiträge leisten. Bezogen auf die „besondere Situation Großbritanniens“ hat Anthony B. Atkinson die „Einrichtung eines Sozial- und Wirtschaftsrates“ vorgeschlagen:

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„Der Glaube, letztlich hätten die Eigentümer das Sagen, hat sich indes bis heute gehalten. Auf den Hauptversammlungen erhalten die Aktionäre Informationen zur Geschäftsentwicklung, Ertragslage, künftigen Unternehmensstrategie und zu vielen weiteren Sachthemen. Vieles davon ist bereits bekannt. Ein solches Aktionärstreffen gleicht einem baptistischen Gottesdienst. Die Herrschaft der Manager wird in keiner Weise geschmälert; dazu gehört auch, dass sie ihre Vergütung in Form von Barbezügen oder Aktienbezugsrechten weitgehend nach eigenem Belieben festsetzen.“

John Kenneth Galbraith, in: Die Ökonomie des unschuldigen Betrugs, München: Pantheon, März 2007, 1. Aufl., S 78

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Uwe Jean Heuser: Unschuldiger Betrug

Forderungen der International Labour Organization (ILO) in ihrem World Employment and Social Outlook (WESO) 2016 – Transforming jobs to end poverty

In Brüssel regieren nicht mehr die klassischen LobbysAnmerkung: Die Nachhaltigkeit dieses Trends steht jedoch weiterhin auf dem Prüfstand und erfordert daher auch in Zukunft Maßnahmen zur weiteren Stärkung der Zivilgesellschaft

Das Wendejahr 2017 begann vielversprechend: Wer Menschenrechte verletzt soll büßen

2017-12-23_SN_gute-nachrichten_schweden-probiert-den-sechsstundentag