Wir müssen uns verbünden und Institutionen gründen

Wer kann mit Recht behaupten, illiberale von anderen Demokratien unterscheiden zu können? Wenn Wähler*innen in den USA bis zu 11 Stunden warten, um ihre Stimme abgeben zu dürfen: ist das noch einer liberalen Demokratie würdig? Die Möglichkeit, unliebsame Regierungen abzuwählen ist offensichtlich kein Garant dafür, eine gerechtere Gesellschaft zu etablieren.

Selbst für Karl R. Popper war die Idee von der Abwahl einer Regierung zu schwach. Um die „Versklavung der ökonomisch Schwachen, die sich selbst verkaufen müssen, um überleben zu können“, und um Ausbeutung ganz generell aus der Welt zu schaffen hatte er gemeint: „Wir dürfen nicht mehr andere Menschen tadeln, wir dürfen auch nicht die dunklen ökonomischen Dämonen hinter der Szene anklagen. Denn in einer Demokratie besitzen wir den Schlüssel zur Kontrolle der Dämonen. Wir können sie zähmen. Es ist wichtig, daß wir diese Einsicht gewinnen und die Schlüssel gebrauchen; wir müssen Institutionen konstruieren, die es uns erlauben, die ökonomische Gewalt auf demokratische Weise zu kontrollieren und die uns Schutz vor der ökonomischen Ausbeutung gewähren.“ Wie er eingangs darauf hinwies, gilt dies nicht nur in ökonomischer Hinsicht: „Das Dogma, daß die ökonomische Gewalt die Wurzel allen Übels ist, muß aufgegeben werden. Ein Verständnis der Gefahren, die jeder Form von unkontrollierter Gewalt innewohnen, muß seine Stelle einnehmen. Das Geld als solches ist nicht besonders gefährlich. Es wird gefährlich nur dann, wenn es zum Kauf von Macht verwendet werden kann, …“

So weit, so nachvollziehbar. Schwierig wird es allerdings, die Gräben zwischen den unterschiedlichen Positionen zu überwinden. Selbst wenn zB durch die Zustimmung von einem Drittel der Abgeordneten (… weil BR-Reform = „bloße Modifikation“) die „Gründung“ einer Institution im Sinne von Karl R. Popper erzielt werden kann, bleibt die Frage: Wie garantieren wir, dass die neu geschaffene Macht auf Dauer jenen Ausgleich zwischen divergierenden Interessen erwirkt, die ohne ihn weiterhin mit Füßen getreten würden? Wenn Riane Eisler meint, „wir können die Spielregeln ändern“, die uns die Dominanzgeprägten aufgezwungen haben, so wird dies nicht reichen, um ein „gutes Leben für alle“ zu gewährleisten: wir müssen sie ändern.

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„In einer vernetzten Gesellschaft wird aktiver – im Sinne von lebendiger und engagierter – Brückenbau maximiert. Das geht im Allgemeinen nicht ohne Institutionen.“
Danielle Allen, Politische Gleichheit, Berlin: Suhrkamp, 2020, 1. Aufl., S 106

Dazu empfiehlt Danielle Allen die „Entstehung einer vernetzten Gesellschaft“. In „Politische Gleichheit“ führt sie dies näher aus: „Nicht nur beeinflusst die Art und Weise, wie wir unsere gleichen Grundfreiheiten schützen, direkt die Wirtschaftsergebnisse im Hinblick darauf, wie Betriebe arbeiten, oder im Hinblick darauf, wer bei ökonomischen Entscheidungen seine Macht geltend macht. Wirtschaftsergebnisse entspringen auch unseren sozialen Strukturen. Man rufe sich noch einmal das Beispiel der Segregation in Erinnerung. Diese Art von Sozialstruktur führt als solche zu spezifischen, nichtegalitären Verteilungsmustern von materiellen Gütern. Wenn wir nach ökonomischem Egalitarismus streben, ist die Anwendung des Prinzips einer Differenz ohne Herrschaft in der Welt des Sozialen genauso wichtig wie in der Welt der Ökonomie. Insbesondere unter pluralistischen Bedingungen können wir eine egalitäre Ökonomie, der es gelingt, Differenz ohne Herrschaft zu erlangen, nur dann erreichen, wenn die zugrunde liegende pluralistische Sozialstruktur ebenfalls egalitär ist. Und in der Welt des Sozialen kann man in Umkehrung des Bildes, das die Segregation abgibt, davon ausgehen, dass die Entstehung einer vernetzten Gesellschaft sich egalitärer auf die Verteilungsmuster der ökonomischen Ressourcen auswirkt.“ (S 94 f) Kritische Anmerkung dazu: Ihre Vorstellungen darüber, wie die vernetzte Gesellschaft in der Praxis gelingen soll sind allerdings eindeutig zu marktorientiert. Mitunter argumentiert sie damit sogar gegen den Wohlfahrtsstaat.

Weitere Fragen, die es in diesem Zusammenhang ebenso zu beantworten gilt, siehe beispielsweise Therese Stickler (S 185 ff):

2022-02-20_Therese-Stickler_Fragen-zu-Repraesantation-und-Partizipation-in-einer-fragmentierten-Gesellschaft

Mit der Etablierung des Klimarates wurden einige der von Therese Stickler gestellten Fragen zum Teil beantwortet. Weitere zwei bleiben damit noch unbeantwortet:

Wird ein beratendes Gremium genügen, um „Harmonie in der Diversität“ herzustellen?  Oder braucht es nicht vielmehr noch eine institutionalisierte, partizipative Kontrolle der „Machthaber in Politik, Wirtschaft und Kultur„?

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Auch die Demokratie braucht faire Regeln, um attraktiv zu bleiben. Diese sollten laufend auf ihre Tauglichkeit geprüft und bei Bedarf angepasst werden, um soziale und ökologische Missstände einzudämmen. Weder Philanthrokapitalismus noch Fairtrade allein können diese Leistung via freiwilligem Engagement erbringen.

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Anhang

Noch vor den organisatorisch-inhaltlichen Fragen sind jene zu beantworten, die die gesetzlichen Rahmenbedingungen betreffen. Wie schwierig es ist, nachträgliche Änderungen an bestehenden Regelungen zu erwirken, zeigt die Umsetzung der Vorschläge hinsichtlich einer „Verankerung der nichtterritorialen Selbstverwaltung„. Während der Ausschuss 7 des Österreich-Konvents noch darauf abstellte, dass

die gesetzliche Einrichtung der Selbstverwaltungsträger … so zu gestalten [ist], dass durch die Beiträge der den Selbstverwaltungsträgern angehörenden Personen und, soweit erforderlich, durch sonstige Mittel die Erfüllung ihrer Aufgaben sichergestellt wird,

rückt der Gesetzestext im Art. 120c (2) B-VG Jahre später „eine sparsame und wirtschaftliche Erfüllung der Aufgaben“ in den Vordergrund. Die politische Praxis hat darüber hinaus gezeigt, dass selbst diese Bestimmungen kein Garant dafür sind, bewährte Strukturen der Selbstverwaltung sowohl im Bereich der Gesundheitsversorgung als auch der Arbeitnehmervertretung auflösen oder zumindest einschränken zu wollen. Umso wichtiger ist es daher, sich mit breiter Zustimmung darum zu bemühen, kluge und zukunftsfitte Gemeinwohl-Regelungen zu verabschieden.

2020-12-28_Arno-Niesner_Colin-Crouch-Tweet_Die-Superreichen-gefaehrden-die-Demokratie_Kontra-Lobbys

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