Unterstützung zur Überwindung von Prekarität ist gut, aber werden damit auch die strukturellen Formen der Gewalt und eine Wirtschaftsordnung, die Bevölkerungsgruppen einer nicht mehr lebbaren Prekarität aussetzt, in den Blick genommen und bekämpft?
Obwohl Judith Butler die Gewaltlosigkeit präferiert, verwendet sie im erwähnten Zitat dennoch das Wort „bekämpft“. Offensichtlich ist es ihr ein besonderes Anliegen, dass Bevölkerungsgruppen nicht länger „einer nicht mehr lebbaren Prekarität“ ausgesetzt werden. Diese Sichtweise soll uns dazu motivieren, den Kampf gegen strukturelle Formen der Gewalt zu planen und zu führen. Auch wenn die Dreierkoalition in Österreich beabsichtigt, die Kinderarmut bis zum Jahr 2030 zu halbieren (S 105), sollen die bisherigen Überlegungen dazu einstweilen hier nachzulesen sein:
Aus der Volkshilfe-Broschüre Kindergrundsicherung: So schaffen wir Kinderarmut ab
Gleichzeitig stellt sich heraus, dass wir mit gerechteren sozialen Lebensbedingungen für alle den materiellen Wohlstand im Land mehren können. Schließlich bringt beispielsweise bereits die Investition in die Abschaffung der Kinderarmut allen Menschen in Österreich einen wirtschaftlichen Bonus von über 10 Milliarden Euro jährlich (vgl. Housing-First). Ein Grund mehr, aktiv zu sein oder zu werden, weil damit – zB via Dankbarkeit – auch das Wohlbefinden gesteigert werden kann.
Diese Fakten zeigen, dass die Parteiendemokratie nicht in der Lage ist, allein nur diesen einen Milliardenschatz zum Wohle der im Land lebenden Menschen zu heben. Ein paar Parteien mehr im Parlament würden das Problem allerdings ebenso wenig lösen wie Bildungsmaßnahmen. Damit werden wir die bestehenden Repräsentationslücken im Parlament nicht beseitigen, denn wie wir sehen, wählt selbst von den Studierenden nur ein Sechstel ihre Standesvertretung. Auch die politischen Schatten der Wahldemokratie Österreich bleiben uns weiter erhalten. In vielen anderen reichen – sogenannten „entwickelten“ – Ländern sieht die Situation nicht anders aus. Der Bedarf an einer institutionellen Weiterentwicklung der Demokratie ist daher nicht nur gegeben, ihre Förderung wird angesichts der durch Armut mitverursachten Gefährdungslage zu ihrer Überlebensfrage. Der deutsche Politikwissenschaftler und Princeton-Professor Jan-Werner Müller hält es für „unwahrscheinlich, dass man das, was manche für gute Gründe [für eine Denkzettel-Wahl] halten, ganz grundsätzlich ändern kann. Man kann jedoch die Anstrengungen unternehmen, die Institutionen und die Wahlmöglichkeiten zu ändern, mit denen sie sich konfrontiert sehen. Und das heißt unter anderem: Die kritische Infrastruktur der Demokratie zu öffnen und umzugestalten. Dazu braucht es allerdings ein klares Verständnis der Prinzipien, die der Demokratie zugrunde liegen.“ (Freiheit, Gleichheit, Ungewissheit, 2021, S 55)
Erwachende Zivilgesellschaft
Mittlerweile bemühen sich neben staatlichen Stellen auch zahlreiche Engagierte darum, die Gefährdungen einer unter Druck geratenen Demokratie abzuwenden; und sie stellen Fragen, die uns mitunter dazu veranlassen, sie zu beantworten. Die folgende entstammt dem Editorial von „Stimmen gegen Armut„, dem gleichnamigen Band der 12. Armutskonferenz im Jahr 2020: „Welche neuen Formen der Partizipation ermöglichen eine gleichberechtigte Beteiligung aller gesellschaftlichen Gruppen?“
Demokratie braucht Allianz(en) für ein partizipatives Parlament
Hinweis: am Ende dieses > Beitrags werden einige Beispiele genannt
Begründung: Die bloße Vermehrung von Beteiligungsformaten ist nicht zielführend
Nun, allein auf mehr Partizipation durch Bürgerbeteiligung zu setzen, greift zu kurz: „Die neuen Partizipationsangebote verlangen den Bürger:innen wesentlich mehr ab als der im Vergleich niederschwellige Wahlakt.“ (Ehs/Zandonella, 2023) Dazu sind die meisten Bürger:innen nicht bereit, weshalb „die bloße Vermehrung von Beteiligungsformaten nicht zielführend ist“. Zur „Verbesserung der Demokratie“ braucht es daher neben aktivierenden Methoden wie zB Demokratiefestivals und verschiedenen anderen Leuchttürmen auch institutionelle Vorkehrungen als Wege zum repräsentativen Parlament.
Der Sinn eines plebiszitären Gesetzgebungsrechts besteht ja nicht darin, dass das Volk anstelle des Parlaments regiert, entscheidend sind vielmehr die Vorabwirkungen, die von diesem Recht ausgehen. Wenn die Regierenden wissen, dass das Volk eine bestimmte Materie notfalls selber an sich ziehen kann, werden sie wahrscheinlich genau dies zu verhindern suchen. Die plebiszitären Elemente führen insoweit bereits durch ihre schiere Existenz, ohne dass man sie anwenden muss, zu einer stärkeren Interessenberücksichtigung und Kompromissfindung.
Wie können wir nun dazu beitragen, eine weitere Gefährdung unserer Demokratien zu verhindern und dabei gleichzeitig unser Wohlbefinden zu steigern?
Maßnahmen und Ideen gibt es viele. Zur Steigerung ihrer Wirksamkeit fehlt allerdings noch ein koordiniertes Miteinander (innerhalb) dieser beiden Ebenen: eine in den verschiedenen sozialen Schichten gelebte Mitentscheidungskultur und zielgerichtete Bündnisse der Zivilgesellschaft.
Einen vergleichbaren Inhalt von Martina Zandonella finden wir in ihrem Referat „Demokratie und Politik“, das im stenografischen Protokoll zur parlamentarischen Enquete des Bundesrates „Demokratie braucht Zukunft – Brücken bauen, Demokratie stärken“ vom 12. November 2024 nachzulesen ist.
Anmerkung: Vgl. dazu die Inhalte der Enquete-Kommission im Nationalrat aus dem Jahr 2014.Tamara Ehs am Schluss ihrer Ausführungen: „Zusammenfassend: Es gibt genügend gute Ideen und Vorbilder. Was es dafür braucht, ist ein gewisser Mut, vielleicht sogar schon einen militanten Optimismus, aber jedenfalls eine konkrete Utopie. Ein Demokratiebüro wäre eine erste Utopie, wo man anfangen könnte, neue Ideen der Bürgerbeteiligung nicht dem Volk überzustülpen, sondern es selbst und gemeinsam gestalten zu lassen. Immerhin kann die Antwort auf die Krise und auf die Demokratiekrise ja nur in einer umfassenden Demokratisierung bestehen.“ (Protokoll zur Enquete-Kommission „Stärkung der Demokratie in Österreich“ vom 2014-12-18, S 308)
Während Antworten auf die Kulturfrage ihre nachhaltige Wirkkraft ganz besonders von unten (vgl. Klimarat) her entfalten, verstärken zivilgesellschaftliche Bündnisse diese mit dem Fokus auf politische Parteien, ohne deren Zustimmung keine institutionellen Verbesserungen unserer Demokratien auf friedlichen Wegen zu erhalten sind. Jan-Werner Müller verdeutlicht damit verbundene Widerstände, die es gemeinsam zu überwinden gilt: „Warum sollten Parteien solchen Verfahren* je zustimmen? Denn damit würden sie sich ja immer zumindest ein Stück weit selbst entmachten.“ (2021, S 193)
Lange vor Jan-Werner Müller kommt Simone Weil zu vergleichbaren Befunden und Emanuel Towfigh erlangt durch die Arbeit an seiner Habilitationsschrift diese Erkenntnis:
„Ich plädiere für eine behutsame Weiterentwicklung unserer demokratischen Ordnung. Behutsam, weil die Demokratie ein fragiles und wertvolles System ist. Wir leben zudem in Frieden und Wohlstand, wir genießen eine stabile Ordnung. Dies ist auch ein Verdienst der Parteien, die nach dem Krieg ein Stabilisator des Systems waren. Aber die Parteiendemokratie hat sich offenkundig überlebt, die Nachteile dieses Systems werden immer deutlicher sichtbar.“ (Hervorhebungen: AN)
Ohne entsprechenden Druck durch eine aktive Zivilgesellschaft würde auch ein nächster Österreich- oder Verfassungskonvent kein Update im gewünschten Ausmaß liefern.
Die Forderung nach Etablierung eines Demokratierates wirft spätestens angesichts der Erfahrungen mit den Empfehlungen des Wissenschaftlichen Beirates der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) die Frage auf, ob diese nicht zu wenig weit geht. Die politische Praxis zeigt, was möglich ist – siehe: irische Citizens‘ Assembly oder Ständiger Bürgerrat in Paris – und wie sinnvoll – Beispiel: Klimarat – konkrete Updates der Demokratie sein könn(t)en.
Michael Lederer in seinem Beitrag „Politik und Zufall“ zur 12. Armutskonferenz im Jahr 2020
Anmerkungen
*| Unter „solchen Verfahren“ versteht Jan-Werner Müller Bürgerbeteiligungen mit Losverfahren. Zuvor beschrieb er kurz das Oregon-Modell: „Das Herzstück des Modells ist, die ’normalen‘ Bürgerinnen und Bürger via Losverfahren in den demokratischen Prozess einzubinden und das Ergebnis ihrer Deliberationen allen Stimmbürgerinnen und -bürgern vor einer Volksabstimmung zukommen zu lassen.“ (Nenad Stojanović, in: Jahrbuch für Direkte Demokratie, 2020, S 77) Hinsichtlich der Verbindlichkeit für den Gesetzgeber sind viele weitere Wünsche und Forderungen progressiver, wie beispielsweise jene von SOS Mitmensch mit ihrer „Pass Egal Wahl“ als eine auf Dauer angelegte und umfassende Antwort auf die Kulturfrage, Michael Landau („Armuts-Check von Gesetzen und Verordnungen“), der 12. Armutskonferenz
oder SOS-Kinderdorf Österreich mit der Forderung nach einem „erweiterten Jugend-Check für alle neuen Gesetze: Jeder Entwurf soll von einer unabhängigen Stelle zu den Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche geprüft werden.“ Expert:innen in Fragen zur Demokratie(entwicklung) gehen einen Schritt weiter und empfehlen u. a. eine Zukunftskammer oder ein birepräsentatives Modell. Ein Hinweis von Tamara Ehs lautet: „Um Lehren aus der Krise zu ziehen, muss man bereits den Regelzustand verändern. Hierzu könnte man […] auch ohne Gesetzesänderung die Geschäftsordnungen des National- und des Bundesrats partizipativer interpretieren.“ (Krisendemokratie, 2020, S 101 f)
Siehe dazu auch Überlegungen von Brigitte Geißel und Stefan Jung hinsichtlich Etablierung eines Beteiligungsrates auf Bundesebene. In mehreren Städten werden sie bereits praktiziert, so auch als „Beteiligungsrat Gemeinwohl“ in Leipzig: „Es war eine durchaus verzwickte Frage, die die Ratsversammlung dazu brachte, einen Beteiligungsrat Gemeinwohl einzuberufen. 50 ausgewählte Bürgerinnen und Bürger sollten sich Gedanken darüber machen, wie ‚gesellschaftliches gemeinwohlorientiertes Engagement der Einwohnerinnen und Einwohner‘ wirklich gefördert werden könnte.“ Begründung: „Vor dem Hintergrund des enormen Wachstums Leipzigs, gesellschaftlicher Spannungen und internationaler Krisen gewinnt der Gemeinwohlgedanke institutionenübergreifend an Bedeutung. Umso wichtiger erscheint es, die Auseinandersetzung über das Thema Gemeinwohl unter der breiten Beteiligung der Stadtgesellschaft anzuregen und insbesondere Menschen in den Dialog einzubinden, die sich nicht (mehr) am politischen Willensbildungsprozess beteiligen oder in gewählten Parlamenten oft stark unterrepräsentiert sind.“
Zukunftskammer – eine Empfehlung des Wissenschaftlichen Beirats der deutschen Bundesregierung für globale Umweltveränderungen aus dem Jahr 2011.
Schlussworte
Tamara Ehs, in: Krisendemokratie (2020), S 22: „Demokratie hat allerdings den Pluralismus und damit die Notwendigkeit der Einholung einer Diversität von Meinungen nicht nur idealerweise zur Voraussetzung, sondern eine [die „selektive Responsivität“ konterkarierende|Anm. AN] breitere Entscheidungsfindung führt auch zu besseren, weithin akzeptierten Gesetzen.“
Auf der Suche nach einem guten Leben für alle bietet uns die Geschichte von Dr. Faust eine interessante Vorlage, die wir uns näher ansehen wollen:
Als Margarete ihre Kleider einräumen wollte entdeckt sie ein Schmuckkästchen und fragt sich: „Wie kommt das schöne Kästchen hier herein?“ Verführerisch „hängt ein Schlüsselchen am Band“, sie benützt dieses und probiert schließlich die „Herrlichkeit“ von einer Kette, mit der „eine Edelfrau am höchsten Feiertage gehn“ könnte. Margarete fragt sich: „Was hilft euch Schönheit, junges Blut?“ und kommt zur Erkenntnis: „Man lobt euch halb mit Erbarmen. Nach Golde drängt, am Golde hängt doch alles. Ach wir Armen!“
Reich durch unser Engagement für andere
Werden wir in dem Moment, als unser Herz dem äußeren Glanz verfällt zu lebloser Materie? Was sonst könnte Johann Wolfgang von Goethe mit „alles“ gemeint haben? Jedenfalls sind wir arm, sobald wir nach irdischem Reichtum streben.
Reich hingegen werden wir durch unser Engagement zur Abwendung von absoluter und relativer Armut. Doch an dieser Stelle scheiden sich bereits die Geister. Christoph Butterwegge:
Erfolge im Kampf gegen die relative Armut sind viel schwerer zu erringen als im Kampf gegen die absolute Armut, weil die Einkommensverteilung so beeinflusst werden muss, dass niemand zu weit nach unten vom Mittelwert abweicht. Denn im Unterschied zur absoluten Armut, der man auf karitativem Wege, das heißt mit Lebensmitteltafeln, Kleiderkammern und Möbellagern begegnen kann, erfordert die Bekämpfung der relativen Armut, dass man den Reichtum antastet.
Der Kampf gegen Armut und für sozialen Frieden muss nicht mit Entbehrungen verbunden sein, die als belastend empfunden werden. Er darf auch intelligent geführt werden. So, dass am Ende alle siegen.
Beispiel: „Housing first“. Dieses politische Konzept der Unterstützung von Obdachlosen (über-)fordert diese nicht, sondern es gibt. Andere würden stattdessen von den Betroffenen erwarten, „sich einen Job zu suchen und sich von psychischen Problemen oder Suchterkrankungen selbst zu befreien. Erst dann gibt es Hilfe bei der Wohnungssuche.“1
Dabei wäre es so einfach und gleichzeitig hilfreich für die Mitte der Gesellschaft wie für die sozial Ausgegrenzten:
Konzepte wie „Housing First“ zeigen, dass wir alle davon profitieren, wenn Obdachlosen eine Wohnung zur Verfügung gestellt wird.
Um den Blick frei zu bekommen dafür, müssen wir uns verabschieden von verschiedenen Überzeugungen, die wir uns angeeignet haben im Glauben an die Versprechungen nach mehr Freiheit für alle. Darin ist eine ganz andere Kette verborgen als die, mit der wir uns zu schmücken versuchen. Denn am Ende aller Flexibilisierung steht Burnout, am Ende aller Ausbildungserfolge bleiben die guten Arbeitsplätze knapp und für viele fehlen sie ganz. Dierk Hirschel: „Die unzähligen Taxifahrer und Paketboten mit akademischem Abschluss legen davon Zeugnis ab. Hier werden häufig Ursache und Wirkung verwechselt. Ein gerechtes Bildungssystem, das alle Kinder zum Abitur und Studium führt, schafft nicht automatisch mehr Verteilungsgerechtigkeit. […] Das spricht nicht gegen notwendige Bildungsreformen, aber gegen die weit verbreitete Illusion, mit Bildungspolitik für mehr soziale Gerechtigkeit sorgen zu können.“ (Das Gift der Ungleichheit, 2020, S 126 f)
Wir müssen keinem Wachstumsfetisch um jeden Preis anhängen, um Studienergebnisse des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der OECD zu akzeptieren, wonach soziale Ungleichheit der Prosperität eines Landes schadet. Anika Stitz und Silke Birgitta Gahleitner in ihrer Rezension zu Gleichheit ist Glück (…) von Richard Wilkinson und Kate Pickett: „Soziale Probleme sind zwar, wie die AutorInnen hervorheben, vermehrt in den ärmeren Schichten einer Gesellschaft festzustellen, aber häufiger in Gesellschaften, die eine hohe Ungleichheit aufweisen.“3
Reich durch den Kampf gegen Erwerbsarmut und Arbeitslosigkeit
In diesem Sinne machen wir uns allen einen Gefallen, indem wir uns gewerkschaftlich organisieren, auf der Basis von solidarisch-nachhaltigen Konzepten zivilgesellschaftlich vernetzen und gemeinsam mobilisieren. Dazu müssen wir aufklären. Mitunter auch darüber, dass es Gesetze gibt, die es einzuhalten gilt. Wir müssen aber auch aufklären darüber, dass wir der Souverän in unseren Demokratien sind, die hier Lebenden und Arbeitenden, und nicht das Finanzkapital4. Dessen letzter Zweck darf nicht die Maximierung des Profits um jeden Preis sein, sondern es soll uns ein gutes Leben ermöglichen. Andernfalls wären wir als Menschen genauso arm wie Margarete, wenn sie den gefundenen Schmuck nicht von sich weisen würde, indem sie Marthe gegenüber meint: „Ach Gott! der Herr ist gar zu gut: Schmuck und Geschmeide sind nicht mein.“
2 | Dierk Hirschel in Das Gift der Ungleichheit: „Die Lohnspreizung spiegelt sich auch in den Monatslöhnen wider. Monatslöhne sind ungleicher verteilt als Stundenlöhne, da die Arbeitnehmer unterschiedlich lange arbeiten. Niedriglohnbezieher schufteten unfreiwillig weniger.“ (S 27) Wie sich Ungleichheit zudem negativ auf alle Steuerzahlenden auswirkt: „Die Ungleichheit in der Primärverteilung ist gewaltig. Was in der ersten Runde der Einkommensverteilung schiefläuft, kann der Staat anschließend nur mühsam mittels Steuern, Abgaben und Transfers korrigieren. Umgekehrt entlastet eine egalitäre Primärverteilung den Staat, da er dann weniger bedürftige Bürger unterstützen muss. Der soziale Ausgleich und somit die Wirksamkeit des Sozialstaats lässt jedoch nach.“ (S 29)
3 | Anika Stitz/Silke Birgitta Gahleitner. Rezension vom 07.06.2011 zu: Richard Wilkinson, Kate Pickett: Gleichheit ist Glück. Warum gerechte Gesellschaften für alle besser sind. Haffmans & Tolkemitt (bei Zweitausendeins) 2009. 2. Auflage. ISBN 978-3-942048-09-5. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/11444.php, Datum des Zugriffs 30.03.2021
4 | Zwei Aspekte sind hier zu erwähnen, die einander verstärken: einerseits führt Arbeitslosigkeit und materielle Armut neben gesundheitlichen Folgen auch zu sozialer und politischer Ausgrenzung zB durch eine geringere Wahlbeteiligung und andererseits wirkt „selektive Responsivität“ im Rahmen der Gesetzgebung.
Dieser mittlerweile oft zitierte Gedanke wurde vermutlich erstmals von Ilona Kickbusch als Bezeichnung verwendet für ihren gleichnamigen Vortrag auf dem Kongress „Armut und Gesundheit“ im Dezember 2000.
Auch innerhalb der Interessensvertretungen gilt es hinsichtlich der Zielabwägungen aufzupassen. Insbesondere dann, wenn der „Health in All Policies„-Ansatz als Argument dafür dient, um in einer zunehmend von Erwerbslosigkeit und prekären Arbeitssituationen gebeutelten Arbeitswelt einen späteren Pensionsantritt zu unterstützen (siehe FSG-Antrag 8).
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