„Nur wenn es demokratische Utopien gibt, ist die (Zukunft der) Demokratie gesichert.“
Tobias Doppelbauer, 2019
Die Verantwortung für die Leitung von politischen Gemeinschaften wird üblicherweise per Wahlen an unattraktive Parteien übertragen. Die daraus entstandene Parteiendemokratie hat sich allerdings nach Ansicht von Emanuel Towfigh mittlerweile „offenkundig überlebt„. Was es nun braucht sind breitenwirksame Aktivitäten zur Beschleunigung eines üblicherweise langsamen Erneuerungsprozesses der Demokratie in Richtung Etablierung eines birepräsentativen Modells auf allen Ebenen der Volksvertretung.
Nach ihrem erfolgreichsten Jahrhundert in ihrer zweieinhalb Jahrtausende währenden Geschichte zeigt die Demokratie Ermüdungserscheinungen. Oliver Marchart zufolge ist sie nicht nur „strukturell prekär“, sondern die „Prekarisierung des Sozialen“ stellt noch zusätzlich eine „Gefahr für die Demokratie“ selbst dar. Vergleichbar Herfried Münkler über „die Angst der Mittelschicht vor dem sozialen Abstieg und die […] Empörung einer in prekäre Beschäftigungsverhältnisse abgesunkenen Arbeiterschaft […]: In diesen Bevölkerungsgruppen findet eine liberale, weltoffene Politik keine Resonanz mehr.“ (S 97) Gleichzeitig entstehen zahlreiche Zellen der Erneuerung. Sie tragen unterschiedliche Namen wie Olympiaden der Demokratie, Bürgerbeteiligungssatzung, Citizens‘ Assemblies, Wisdom Councils, Ständiger Bürgerrat für Paris oder Bürgerdialog in Ostbelgien.
Partizipation ist mittlerweile nicht nur zum Schlagwort avanciert, sondern sie findet auch Einzug in viele Lebens- & Arbeitsbereiche, zB in Form der „partizipatorischen Demokratie“ in den politischen Alltag. Allerdings gibt es zu deren Verbreitung Hürden zu überwinden. Katrin Praprotnik: „Generell muss man die Bürgerinnen und Bürger mehr einbinden. Und dann auf die Vorschläge angemessen reagieren. Es reicht nicht, zu fragen und dann zu ignorieren.“ (Kleine Zeitung, S 19)
„Die aktive Zivilgesellschaft auf den Straßen begehrt zwar auf, sie ist aber meist nicht in der Lage, die staatlichen Gewaltverhältnisse nachhaltig zu ändern.“
Sieglinde Rosenberger, 2023
Gemeinwohl-Checks von Gesetzen & Verordnungen
So meinte auch Caritas-Präsident Dr. Michael Landau im Jänner 2020: „Wir würden uns beispielsweise wünschen, dass künftige Gesetze und Verordnungen nicht nur einem Klima-Check, sondern auch einem Armuts-Check unterzogen werden, also jeweils überprüft wird, dass sie Kinder- und Altersarmut sinken und nicht steigen lassen.“ (Kurier, 2020-01-12)
Ähnliche Ambitionen hegt Andreas Kollross in seiner Funktion als Bürgermeister der niederösterreichischen Gemeinde Trumau: „Wer auf Bundesebene Aufgaben und Auswirkungen auf die Gemeindeebene beschließt, hat auch für die finanzielle Deckung zu sorgen. Ein verpflichtender Gemeindecheck diesbezüglich würde da schon genügen.“ Diese Aufgabe verortet er in einem mit „mehr Kompetenzen“ ausgestatteten Bundesrat. Auch eine Zukunftskammer des WBGU oder ein Bundes- & Gemeinwohlrat könnten diesen Wunsch erfüllen. Ebenso ließe sich nach Hubertus Buchstein das „Demokratiedefizit der Europäischen Union“ durch die „Einführung einer gelosten Zweiten Kammer des Europäischen Parlaments […] reduzieren, denn ein solches ‚House of Lots’ (Haus der Ausgelosten) trüge gleichzeitig zur Stärkung der Beteiligung der Bürger als auch zur sachlichen Qualität von politischen Entscheidungen auf Ebene der EU bei.“
Georg Mair: „Macht braucht Kontrolle. Ohne Opposition keine Demokratie.“ Eine Kontrolle durch die Vielen allerdings, also durch den Souverän im Sinne von J. J. Rousseau, gibt es nur ohne den Klubzwang in den von Partikularinteressen (Lobbies) – inkl. Bildungseliten (siehe Michael J. Sandel) – beeinflussten politischen Parteien. Um ihre volle ausgleichende Wirkung – mitunter auch gegen eine „Politik der Gesprächsverweigerung“ – entfalten zu können, benötigt sie eine permanent eingerichtete Institution mit Abgeordneten, die „großzügig Zeit und Energie an die Gesellschaft“ verschenken.
Inhalte weiter unten im Text: Anhang (Arbeitsfelder), Perspektiven, James Fishkin, Plädoyer für ein birepräsentatives Modell
Im Anschluss an diesen Text aus dem ökumenischen Sozialwort 2003 ist auf Seite 51 eine Einladung formuliert „an einzelne, an kirchliche und gesellschaftliche Initiativen und Einrichtungen […], sich die Anliegen des Sozialworts zu eigen zu machen und gemeinsam weiterzuführen.“
Selbst wenn sie über die Welt der Kommunen hinausreichen, gehen die meisten Initiativen zur Förderung und Stärkung der Demokratie allerdings „nur“ (gewiss: Demokratie braucht „zunächst informierte Bürger„) den langen Bildungsweg der Aufklärung – vorzugsweise mit Jugendlichen. Und auch die programmatischen unter ihnen gehen mit ihren Forderungen für mehr direkte Demokratie mittels „Volksbegehren und Volksentscheiden“ nicht weit genug. Mitunter führt Bildung sogar in eine demokratiepolitische Sackgasse: vgl. Michael J. Sandel. So bliebe Gemeinwohlkorrektur hinter ihren Möglichkeiten zurück, sollte sie nur individuell-präventiven Ansprüchen genügen. Deshalb ist sie über all die sonstigen Anstrengungen hinaus auch institutionell (> Kelsen/Popper) zu denken, zu planen und zu realisieren.
Selbst eine drohende „Vetokratie“, wie sie Francis Fukuyama bereits in den USA ortete, lässt diesen weiterhin verkünden: „Aber liberale Beschränkungen der Macht sollten als eine Art Versicherungspolice gesehen werden“ (S 106), denn „die Machtausübung überhaupt nicht zu beschränken, ist und bleibt ein gefährliches Versäumnis, weil wir die Identität zukünftiger Machtinhaber nicht im Voraus kennen können.“ (S 107)
Jede grundsätzliche Zunahme der Organisationshöhe erfordert zusätzliche Kontrollen zur Verringerung der Fehlerrate.
Ulrich Kull: Die Höherentwicklung der Lebewesen …, S 25
Gemeinwohlcontrolling hat zwecks Vermeidung von volkswirtschaftlichen Nachteilen, Umweltschäden und/oder menschlichem Leid dort anzusetzen, wo Gesetze und Verordnungen verabschiedet werden. Dazu braucht es einen (durchaus föderal organisierten) institutionalisierten Pluralismus, der beispielsweise mithilfe eines interdisziplinären „Arbeitskreises Demokratie“* seiner politischen Realisierung zugeführt wird.
Diese Lehren zieht David Van Reybrouck ua aus seinem „flüchtige[n] Überblick über die Geschichte“: „Der Gebrauch des Losverfahrens fiel häufig mit dem Höhepunkt von Wohlstand, Prosperität und Kultur zusammen“, das Losverfahren sorgte für „weniger Konflikte und größere Beteiligung der Bürger“, es wurde „immer in Kombination mit Wahlen praktiziert, um Kompetenz zu garantieren“** und „Staaten, die das Losverfahren anwandten, erlebten häufig Jahrhunderte der politischen Stabilität, trotz großer interner Unterschiede zwischen rivalisierenden Gruppen.“ (S 82 f)
Eva M. Welskop-Deffaa (2017, S 477):
„Es braucht eine Ermutigung aller Wählerinnen und Wähler, gerade auch derer in prekären Lebenslagen, mit ihrer Stimme ihre politischen Prioritäten zum Ausdruck zu bringen und ‚ihren‘ Kandidat/innen den Einzug in die Parlamente zu ermöglichen, so dass diese Responsivität und Repräsentativität verlässlich gewährleisten.
Per Klick auf das folgende Bild zur Zwischenbemerkung mit Argumenten für die gemeinwohlfördernde Wirkung von Partizipation:
Es werden aber, und hier folge ich dem belgischen Historiker David van Reybrouck, diese Anstrengungen im 21. Jahrhundert nicht ausreichen, um die repräsentative Demokratie zukunftsfähig zu erhalten. Nicht erst die neuen Einflussmöglichkeiten durch ’soziale Medien‘ lassen Wahlkämpfe zu einer Reality Show mutieren, die Demokratie als Spektakel (auf privaten und öffentlichen Fernsehbühnen) inszeniert und Teilhabe des Volkssouveräns oft nur noch simuliert. In den USA haben wir bei den Präsidentschaftswahlen 2016 erschreckt beobachten können, was alles (technisch) möglich ist und was alles (politisch) eingesetzt wird, um mit zielgruppengerecht aufbereiteten reißerischen Botschaften, deren Wahrheitsgehalt nicht entscheidend ist, (via Facebook, Twitter und Instagram…) Emotionen zu schüren und Wahlentscheidungen in Echtzeit zu beeinflussen.“
In Anlehnung an die „Pass Egal Wahl“ von SOS-Mitmensch könnten wir wiederkehrende Demokratie-Festspiele veranstalten und dabei einen „Festtag der befreienden Dialoge“ ausrufen. Möglich, dass es zuvor noch – wie bei der fragmentierten Social Economy (S 8) – die Erarbeitung einer Deklaration braucht als „Grundlage für ein koordiniertes Vorgehen zur Verbesserung der Rahmenbedingungen“, die schließlich über die Umsetzung des „Europäischen Aktionsplans für Demokratie“ hinausreicht. Vermutlich braucht es aber auch so etwas wie die belgische Plattform G1000 zwecks Planung und Durchführung von demokratischen Innovationen im Sinne von James Fishkin.
Ergänzende Anmerkungen: Die im Beitragsbild erwähnte „Resiliente Demokratie“ bezieht sich auf den gleichnamigen Workshop anlässlich der Tagung22 des Armutsnetzwerks Steiermark. Hinweis von Bischofsvikar Dr. Heinrich Schnuderl auf die Worte von Papst Franziskus: „Wir müssen uns in die Politik einmischen, denn die Politik ist eine der höchsten Formen der Nächstenliebe, denn sie sucht das Gemeinwohl. Und die Laien müssen sich in der Politik einsetzen.“ In „Kirche muss Politik“ gibt es weitere Informationen dazu.
Auch wenn der „Europäische Aktionsplan für Demokratie“ wichtige Schritte in die richtige Richtung beschreibt, so geht er dennoch nicht weit genug, denn Deliberation endet vor dem „Mitentscheiden“ und „bürgerschaftliches Engagement“ ignoriert die Bestrebungen einer „Pass Egal Wahl“ und die daraus gewonnenen Erfahrungen: Am besten ist, wenn alle mitmachen (> weitere Überlegungen von Cristina Lafont).
*| Zum Begriff „interdisziplinärer Arbeitskreis Demokratie“ am 23. 11. 2022 als älteste und einzige Eintragung im Internet gefunden: „Runder Tisch und direkte Demokratie“ – mit inhaltlichen Bezügen bis ins Jahr 1997 zurück
**| Sich auf Montesquieu und Rousseau beziehend schlussfolgert Van Reybrouck: „Die zwei wichtigsten Bücher über politische Philosophie aus dem achtzehnten Jahrhundert stimmen […] darin überein, dass das Losverfahren demokratischer sei als Wahlen und dass eine Kombination beider Methoden für eine Gesellschaft von Vorteil sei. Die aleatorischen und elektoralen Verfahren könnten einander stärken.“ (a. a. O., S 85; vgl. Hubertus Buchstein)
Inhalte dieser Webseite vom 2023-02-26 als pdf-Datei
Anhang
Bereits im Jahr 2005 stellte Armin Nassehi fest: „Im 20. Jahrhundert haben wir gesehen, dass alle Diktaturen ökonomisch gescheitert sind.“ Deshalb sollten wir bei unseren Bestrebungen diesen anderen Gedanken von ihm immer wieder erneut in Erinnerung rufen: „Demokratie heißt Partizipation und Partizipation braucht Zeit. Überzeugungszeit.“
In dieser Hinsicht ist es dann nicht verwunderlich, wenn sich die AK Wien nach neun Jahren „Pass Egal Wahl“ erst im Jahr 2022 erstmals daran beteiligte.
____________
„Außerdem korrespondieren sie mit den in der Wissenschaft (zuletzt Gastil/Wright 2018) schon länger getätigten Überlegungen, die zweite Kammer der Landes- und/oder Regionalparlamente durch geloste BürgerInnenversammlungen zu ersetzen beziehungsweise Einkammernsysteme um eine solche zweite Kammer zu ergänzen. Für Österreich würde dies auf Nationalstaatsebene bedeuten, den Bundesrat als Bürgerrat neu zu gründen.“
Tamara Ehs (2019, S 22)
Am Ende der beiden FREDA-Veranstaltungen „Salonabend: Mehr Demokratie wagen!“ und dem Workshop „Demokratie statt Krise“ mit Tamara Ehs werden nun auch die möglichen
Arbeitsfelder
für einen „Arbeitskreis Demokratie“ klarer sichtbar:
A) Bewusstseinsbildende Maßnahmen und Arbeit an den Strukturen
Partizipative Konzepte werden üblicherweise so verstanden, dass die vielen Stimmen im Vorfeld politischer Entscheidungen gehört werden. Im Vergleich zu dem was idealtypisch erstrebenswert oder zumindest möglich ist, gibt es für die tägliche Praxis noch viel Luft nach oben. Die folgende Auswahl an mittlerweile zahlreichen Beispielen zeigt den vorhandenen Willen zur Umsetzung:
- die „Pass Egal Wahl“ insgesamt und an den Schulen
- die partizipative Kinder- und Jugendmillion der Stadt Wien
- die Lange Nacht der Partizipation
- Praxisdatenbank mit weiteren Beispielen
- in die allgemeinen Entscheidungsstrukturen einer Gemeinde integriete Bürgerbeteiligung: Bürgerbeteiligungssatzung in Weyarn (Bayern)
- Berichte über Bürgerräte im Bundesland Salzburg
- Ständiger Bürgerrat für Paris
- Bürgerrat Demokratie 2019 > Bürgerrat.de > Democracy R&D
B) Gemeinwohlkorrektur von Parlamentsentscheidungen
Sofern die in einer Kammer mit gewählten Abgeordneten getroffenen Entscheidungen nicht ausreichend partizipativ zustande gekommen sind, gilt das Wort: „Macht braucht Kontrolle“. In einem Artikel aus dem Jahr 2003 zur Reform des Bundesrates in Deutschland heißt es dazu:
„In vordemokratischen Zeiten wurde die Fähigkeit der Gemeinwohlsicherung sozial hervorgehobenen Persönlichkeiten zugeschrieben. Mit dem britischen Oberhaus hat sich bis heute eine solchermaßen geprägte Institution erhalten. Die Form der Bestellung, die sich mit der Idee der Gemeinwohlkorrektur von Parlamentsentscheidungen verbindet, ist diejenige der vererbten Mitgliedschaft in der Zweiten Kammer oder moderner: der Ernennung.“
Seit damals wurde dieses Feld nicht oder nur in qualitativ vergleichbaren Einzelfällen (siehe Ostbelgien und Weyarn) weiter bearbeitet und so gibt es über den erfolgreich praktizierten Bikameralismus in der Schweiz hinaus lediglich einige wenige weitere Anregungen und Wünsche: Zukunftskammer, Gemeinwohlrat, Armuts- & Gemeindecheck und Plädoyer für ein birepräsentatives Modell der Volksvertretung.
In Anlehnung an Wright (2017) sind insgesamt sieben Elemente für eine gelingende Partizipation innerhalb demokratischer Verfahren zentral. Partizipation sollte, laut Wright, nach einem Bottom–Up–Prinzip erfolgen. Die Partizipierenden sollen nicht nur die Möglichkeit bekommen, ihre Ansichten zu öffentlichen Angelegenheiten zu äußern, sie sollen zudem auch direkt in die Entscheidungsfindung mit eingebunden werden (1). […] Die dezentralen und deliberativen Elemente der Entscheidungsfindung gilt es dabei durch die höheren staatlichen Instanzen fest und dauerhaft zu institutionalisieren (6).
Quelle: „Leblose Demokratie: Die Krise der Partizipation?„, S 7
Perspektiven für politisch Engagierte
„Diese neuen Instrumente sind wertvoll, zumal die organisierte Zivilgesellschaft heute weniger zu sagen hat. Aber sie greifen noch immer viel zu kurz. Die Bürgerinitiative bringt die Nöte des Volkes an die Tür des Gesetzgebers, als handelte es sich um Milchflaschen. Nicht weiter. Bei einem Referendum darf das Volk einen fertigen Gesetzentwurf aus dem Fenster entgegennehmen. Nicht eher. Erst dann darf es sich mit Schaum vor dem Mund darauf stürzen. Gespräche mit dem Ombudsmann finden wiederum im Garten statt: weit vom legislativen Prozess entfernt. Nicht näher.“
David Van Reybrouck, a. a. O., S 169 f
Wenn auch aus anderen Überlegungen heraus, aber immerhin gibt es hinsichtlich der Einsetzung einer Parlamentsreform-Kommission eine auf Rita Süssmuth verweisende erste Anregung von Helmut Brandstätter nach dem Downgrading Österreichs von einer liberalen zur Wahldemokratie. Wenngleich die empirische Haltbarkeit dieser Herabstufung berechtigterweise zu hinterfragen ist, dennoch trifft sie auf umfangreich formulierte Bedürfnisse aus Sicht der Opposition: Jörg Leichtfried mahnt deshalb auch die „Stärkung des Parlaments“ ein. Die Einführung eines Mehrheitswahlrechts würde dabei auch keine Verbesserung erwarten lassen. Dieses ist vielmehr auch dann abzulehnen, wenn der „Nachteil für kleinere Parteien“ durch begleitende Maßnahmen wie zB ein „sorgfältiger Umgang mit Volksbegehren“ relativiert werden soll. Die Idee der Aufwertung des Bundesrates (siehe „Bundesrat als Volkskammer„) und der Landtage durch zusätzliche, „Staats– und Landesgrenzen überschreitende Aufgabenstellungen“ behalten wir allerdings weiterhin im Auge, denn die zweite Kammer des Parlaments könnte doch tatsächlich durch „demokratische Losverfahren„
im Sinne eines institutionalisierten Pluralismus gestärkt werden.
Schließlich beginnt auch Herfried Münkler im Zuge seiner Überlegungen über die Zukunft der Demokratie darüber „nachzudenken, ob und wie veränderte Formen des bürgerschaftlichen Engagements eine nachhaltige Umkehr der jüngeren Entwicklung des Wahlverfahrens durch eine aleatorische Aufgabenzuweisung – also ein Einsatz, der von Los und Würfel bestimmt wird – die mit der Gleichheit aller Bürgerinnen und Bürger in radikaler Weise ernst macht, bis hin zu organisatorisch offenen Formen der Bürgerbeteiligung, bei denen auch jene in Entscheidungssituationen versetzt werden, die sich sonst nie politisch engagieren würden.“ (S 167) Sein letzter Satz im Buch ist ein unmissverständlicher Aufruf, in diese Richtung zu handeln: „Eine Demokratie ohne Engagement der Bürgerinnen und Bürger ist nicht überlebensfähig – wenn sie eine Zukunft haben soll, müssen vor allem in diesem Bereich neue Ansätze entwickelt werden.“ (S 176)
Der Weg zu mehr direktdemokratischer Bürgerbeteiligung führt allerdings nicht weit genug (vgl. Van Reybrouck w. o.), denn er endet noch vor einer partizipativen Mitentscheidung (s. a. András Jakab). Diese wiederum ist als verfassungswidrige „Volksgesetzgebung“ (S 19) zu verstehen und als solche dürfen ihre Arbeitsergebnisse zu „keinerlei Verpflichtung zur direkten Umsetzung“ in „repräsentativ-demokratischen“ Gremien führen. Währenddessen trifft diese Verfassung auf parteipolitische Interessen, die trotz vorheriger Zustimmung „im Rahmen eines Entschließungsantrags für die Umsetzung des Gremiums“ Klimarat zu dieser Wortmeldung des ÖVP-Umwelt- und Klimasprechers Johannes Schmuckenschlager führten: „Ich kritisiere nicht die Bürger, die sich da engagieren, aber ich kritisiere das Gremium als Institution.“ (in: Der Standard, 11. Juni 2022)
Die Arbeit von James Fishkin führte einen wahren deliberative turn in den politischen Wissenschaften herbei. Dass deliberative Demokratie dem todkranken Leib der elektoral-repräsentativen Demokratie einen kräftigen Impuls geben kann, wird von keinem seriösen Wissenschaftler mehr bezweifelt. Bürgerbeteiligung meint nicht nur demonstrieren, streiken, Petitionen unterschreiben zu dürfen und andere Formen erlaubter Mobilisierung im öffentlichen Raum, sondern muss auch institutionell verankert werden. […] Jedes Mal führte die Beratung zu einer neuen Gesetzgebung.
David Van Reybrouck, in: Gegen Wahlen, S 117 f
Mehr Demokratie auf nationaler Ebene via partizipative Bestellung von Abgeordneten für den Bundesrat
Eine Änderung der Geschäftsordnung des Bundesrates mit Blick auf eine besondere Anwendung des Art. 35 (2) könnte ausreichen, um sowohl eine kommunalpolitische als auch zivilgesellschaftliche Aufwertung des Bundesrates zu erzielen, denn gemäß dieser Bestimmung müssen Mitglieder des Bundesrates nicht dem Landtag angehören. Die Geschäftsordnung des Bundesrates könnte somit vorsehen, dass dessen Mitglieder beispielsweise auch aus einem nationalen Klimarat, aus Gemeinderäten, regionalen Sorgeräten oder (ebenfalls noch zu gründenden) Zukunftsräten entsendet werden. Gelten soll dies jedenfalls für „alle, die hier leben„. Inwieweit die über 100 Jahre geübte Praxis der Bestellung von Abgeordneten für den Bundesrat selbst den geforderten „repräsentativ-demokratischen Grundsätzen“ (siehe oben: „verfassungswidrige Volksgesetzgebung„) entspricht ist gesondert zu klären (vgl. Roland Sturm). In diesem Zusammenhang wäre es aber auch interessant zu wissen, ob einzelne Landtage bereits vor einer allfälligen Änderung der Geschäftsordnung des Bundesrates zu einer zeitgemäßeren Form der Bestellung von Abgeordneten für den Bundesrat bereit sind.
Die vorangegangenen Überlegungen sind nicht neu, denn der „Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen“ (WBGU) hatte bereits im Jahr 2011 in seinem Hauptgutachten „Welt im Wandel – Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation“ die Einrichtung einer Zukunftskammer empfohlen:
Um Zukunftsinteressen institutionell zu verankern, empfiehlt der WBGU zu erproben, das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren um eine deliberative „Zukunftskammer“ zu erweitern. Um interessens- und parteipolitische Einmischung zu vermeiden, könnte die Zusammensetzung dieser Kammer beispielsweise durch Losverfahren ermittelt werden.
Quelle: Welt im Wandel – Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation, S 10 f
Desgleichen Jean Jacques Rousseau: „Das englische Volk wähnt frei zu sein; es täuscht sich außerordentlich; nur während der Wahlen der Parlamentsmitglieder ist es frei; haben diese stattgefunden, dann lebt es wieder in Knechtschaft, ist es nichts.“
Unterwegs zu mehr politischer Teilhabe
Ob es für diese Anpassungsleistung wieder ein „Lichtermeer“ braucht als Gründungsimpuls oder doch „nur“ so etwas wie eine „Pass Egal Wahl“ in der Form eines Demokratie-Festivals als bewusstseinsbildende und transitionsbeschleunigende Institution? In jedem Fall braucht es mehr Partizipation als ergänzendes Korrektiv zur Parteiendemokratie. Denn was hat sich in 30 Jahren SOS Mitmensch geändert? Bereits zur Zeit des Lichtermeers ließ sich die „‚Große Koalition‘ […] von Jörg Haider vor sich hertreiben, und nicht wenige in ihren Reihen fanden selbst Gefallen an den leichten Punkten, die man mit diesem Populismus machen kann“, so der ehemalige Ko-Initiator Helmut Schüller in seinem Resümee 30 Jahre danach. Mittlerweile hat sich dieser Gefallen am Populismus weiter ausgebreitet und nimmt ganze Regierungen in Beschlag. Ohne entsprechende (birepräsentative) Mitregierung durch die Vielen werden sich auch deren angestrebten Ziele – siehe beispielsweise Klimarat – nicht oder nur in Einzelfällen erreichen lassen. Helmut Schüller:
„Denn so, wie es aussieht, ist es noch einigermaßen weit zu einer Politik für Geflüchtete, die ihr Maß an den Menschenrechten nimmt.“
Die resiliente Demokratie mag solidarischer sein, doch wenn die 30 Jahre währende Arbeit einer seit Beginn ihres Bestehens von zahlreichen Testimonials unterstützten Organisation kaum Fortschritte erzielt, wie schwierig ist es erst, wenn am „Herzen der Demokratie“ (V. Reybrouck, a. a. O., S 121) operiert wird, um dieses Ziel zu erreichen? Van Reybrouck weiter: „Das war etwas anderes, als die Bürger über Windräder oder Maiskolben mitreden zu lassen.“ Und so kommt auch er vor seiner (lesenswerten!) Analyse des „lehrreichen“ Scheiterns einiger Projekte zu der Erkenntnis: „Demokratische Erneuerung ist ein langsamer Prozess.“ (S 127) Bevor er dann (endlich) doch noch über ein vorbildhaft-positives Beispiel aus Island (ab S 130, hier nachzulesen ab S 104) berichtet, fragt er sich wie viele andere auch: „Als heftigste Gegner erweisen sich immer wieder politische Parteien und kommerzielle Medien. Das Phänomen ist weit verbreitet und faszinierend. Woher diese Bissigkeit?“ (S 129)
Fazit
Schließlich lautet sein Plädoyer: „Wir müssen heute hin zu einem birepräsentativen Modell, einer Volksvertretung, die sowohl durch Abstimmung als auch durch Auslosung zustande kommt. Beide haben schließlich ihre Qualitäten: die Sachkompetenz von Berufspolitikern* und die Freiheit von Bürgern, die nicht wiedergewählt zu werden brauchen. Das elektorale und das aleatorische Modell gehen also Hand in Hand.“ (S 161)
Am Ende seiner Beschreibung des „sortition based government system“ von Terrill Bouricius weist Van Reybrouck darauf hin, dass die Zeit „allmählich reif“ ist für die Phase 4: „um eine gewählte Kammer in einem Zweikammersystem zu ersetzen“. (S 154)
______
*| Siehe Heinz Fischer im ZiB2-Interview über die Vorteile juristischer Qualifikation von Abgeordneten als verteidigende Antwort auf die Frage nach der Repräsentativität des Parlaments als Volksvertretungsorgan, denn Armin Wolf entdeckte bei seinen Recherchen nur noch einen Arbeiter. Zuletzt wurde auch noch über die Sinnhaftigkeit eines (kaum wahrgenommenen) Bundesrates mit nur wenigen Kompetenzen diskutiert.
Literaturhinweise und allgemeine Informationen: Demarchie, Mitglieder des Netzwerks Democracy R & D, im Kapitel „Blaupause für eine auf dem Losverfahren basierende Demokratie“ stellt David Van Reybrouck das Konzept des amerikanischen Forschers Terrill Bouricius vor
Friedensforscher Karl Kumpfmüller (2012):
„Die Gesellschaft ist soweit! Wir werden in den tagtäglichen Themen im Fernsehen damit konfrontiert. Wer nicht soweit ist, ist die politische Klasse. Wir haben in der derzeitigen Demokratie eine Repräsentation von Mächten und Gruppen, die von Partikularinteressen bestimmt ist, daher kommen sie nie zu gemeinsamen, schon gar nicht zu globalen Lösungen. […]
Es bilden sich bereits überparteiliche Bewegungen, da wird’s eine Revolution geben. Denn die politische Kontrolle funktioniert nicht. Es muss Formen der unmittelbaren Demokratie geben, der oberste Souverän, das Volk, muss die Kontrolle haben.“
Nachzulesen auch im Webarchiv
Am Schluss seiner Ausführungen hatte der Referent Dr. Manfred Hellrigl als damaliger Leiter des Zukunftsbüros beim Amt der Vorarlberger Landesregierung (seit 2020 „Büro für Freiwilliges Engagement und Beteiligung„) darauf hingewiesen, „dass es einen Flaschenhals gibt bei den Bürgerräten, einen Engpass, eine kritische Stelle. Die kritische Stelle ist nicht, wie wir ursprünglich gedacht haben, die Bürgerin oder der Bürger – dass diese also vielleicht nicht reif oder nicht fähig sind, diese Methoden zu benutzen –, sondern unsere Erfahrung hat gezeigt, dass es eigentlich die Entscheidungsträger sind. Es ist vor allem die Politik gefordert, ein bisschen loszulassen und Freiräume zu schaffen, wo die Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit haben, sich am politischen Spiel, am politischen System zu beteiligen und sich aktiv einzubringen. Da muss Vertrauen gebildet werden. Vertrauen entsteht durch Erfahrung, und ich bin sehr zuversichtlich, dass es uns mit einer wachsenden Zahl von konkreten Beispielen von Bürgerräten gelingen kann, dieses Vertrauen aufzubauen. – Vielen Dank. (Beifall.)“
Vom damals, von Edgar Mayer im April 2013 angekündigten Versuch, die in Vorarlberg und auch anderswo gemachten Erfahrungen mit Bürgerräten über den Arlberg zu transportieren, wurde auch im Mai 2022 nichts bemerkt, als in Bregenz eine 20-köpfige Delegation von „Bundesrat im Bundesland“ zu Gast war.
Siehe auch Hinweis auf die verfassungswidrige „Volksgesetzgebung“ in diesem Blogbeitrag.
Ebenso wie Unrecht benötigt auch eine „Demokratie als Dystopie“ Widerstand! Um ein weiteres „Auseinanderdriften der Gesellschaft“ (S 12) zu vermeiden braucht es „mehr und neue Formen der Partizipation“ (S 13). Herkömmliche Bildung ist zu wenig, denn sie allein kann keine meritokratische Gesellschaft auf ihrem liberalen Weg zur Erbaristokratie vor dem Ende des Gemeinwohls bewahren (siehe Molander/Sandel).
In diesem Sinne ist vermutlich auch Uwe Mattheiß zu verstehen.
Und damit sind wir schließlich schon sehr nahe an den Überlegungen zur Etablierung von Demokratie-Festspielen an unterschiedlichen Orten.
Vielleicht helfen uns breitenwirksame*, konkret vorbereitende und zeitlich wiederkehrende Demokratie-Festspiele**, um in die Gänge zu kommen, wenn es darum geht, darauf zu wetten: „Der Ausweg aus der Demokratiekrise wird nicht in den politischen Parteien*** gefunden, sondern an Universitäten, in Arbeitskreisen und in Kooperationen, zB mit den Sozialpartnern als Teil der nichtterritorialen Selbstverwaltung.“
*| Das Losglück könnte sowohl in einem Gewinnspiel gute Dienste leisten als auch – falls erforderlich – über die „Abgeordneten“ bei den jährlich stattfindenden Demokratie-Festspielen entscheiden. Übrigens: Würfeln statt wählen soll unsere von Polarisierungs- und Spaltungstendenzen bedrohten Demokratien retten, indem sie deren bis heute beschworenes Ideal wiederbeleben: „Identität von Herrschern und Beherrschten“ (S 15). Der Werbeaufruf zur Teilnahme könnte lauten: „Komm nach EuTopia, dem Land des Glücks und probe mit uns den Aufstand zur Errichtung eines gemeinsamen Sicherheitsnetzes.“ Übrigens trifft der von Tamara Ehs gegebene Hinweis wohl auch auf ein Fest zur Förderung der Demokratie selbst zu: „Weiters ist anzumerken, dass auch die partizipative Demokratie eines Lernprozesses bedarf: Je länger und je öfter dieses Verfahren angewandt wird, desto größere Öffentlichkeit und Vertrauen erlangt es, was letztlich die Teilnahmebereitschaft der Eingeladenen erhöht.“ (S 23)
Siehe weitere Hinweise zum Thema Breitenwirkung hier.
**| Das Format „Spiele“ hat bekanntlich mehrere Vorteile: durch sie lassen sich einerseits neue Erkenntnisse, Verhaltensmuster oder beispielsweise auch Haltungen einüben, und davor noch können sie andererseits auch dazu motivieren, sich von bisherigen Überzeugungen oder gar zur Gewohnheit gewordenen, „altersschwachen Institutionen“ zu trennen. Eine parlamentarische Enquete allein würde diese Herausforderung nicht bewältigen können, um entsprechende Gesetzesvorschläge einzubringen. Gleichzeitig lassen sich mit Spielen verschiedene Zielgruppen ansprechen, die sich sonst nur sehr schwer für die „Stärkung der Demokratie“ begeistern lassen (siehe Fokusthema 1 von „Anstoss Demokratie“ und vgl. Beispiel für Mangel an Veränderungsbereitschaft).
***| Es sei denn, diese verfolgen wie die 2017 gegründete „Demokratie in Bewegung“ dasselbe Ziel: „Wichtig ist es, zu Anfang ein birepräsentatives System zu schaffen.“ (S 16)
LikeLike
Beispiele für Demokratie-Festspiele
Democracy Festivals Association: „Our common vision is to revitalise democracy by strengthening the link between a political system and citizens and creating spaces for dialogue and participation.“ Es geht aber auch darum herauszufinden, wie wir unser (jeweiliges) Land „zu einem besseren Ort für alle machen können.“
aim – Innovative Bildung: Demokratiefestival 2022 mit der Präsentation von Projekten jugendlicher DemokratiebotschafterInnen
Demokratie-Festival Beta inkl. Start der „Stifung für direkte Demokratie“
Das Projekt „Youth Goes Democracy – Demokratie-Festival“ der Landeshauptstadt will ein aktives und deutliches Zeichen dafür setzen, dass Hannover eine weltoffene und tolerante Stadt ist und bleibt. In Hannover haben Intoleranz und Rechtsextremismus keinen Platz!
Deshalb setzte die Landeshauptstadt ihr Projekt der Demokratiestärkung fort und entschied sich, das erfolgreiche Konzept des „Tages des demokratischen Engagements“ fortzuführen und zu erweitern.
Demokratiefestival Spandau
„Euer Fest“ im Rahmen von 75 Jahre Demokratie in Ulm
Fest der Demokratie in Luzern, inspiriert von der „Initiative Offene Gesellschaft“ in Deutschland. Querverweis: André Wilkens über die Einführung eines europäischen Feiertages und über die „Mobilisierung von Menschen und Ressourcen […], gerade wenn die Schlacht abstrakt, virtuell und mitunter kaum merklich stattfindet.“
Erfahrungen mit dem World Peace Game an der UNESCO-Schule Stiftsgymnasium Melk: „Politische Bildung spielerisch erleben“ – Details zum Spiel erläutert Doris Sommer hier ab S 51. Ihr Hinweis führt uns zur sozial innovativen GLOBART Academy.
Hinweis zu wichtigen spill-over-Effekten, weil herkömmliche „Bildungsmaßnahmen“ allein nicht reichen zur Etablierung notwendiger Innovationen. So gesehen wird es sinnvoll sein, sich ganz besonders um die Teilnahme jener Menschen zu bemühen, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt kritischer bewerten als der Durchschnitt – das sind in Österreich laut Integrationsbarometer 2/2022: „Frauen, mittlere und höhere Altersgruppen, Menschen mit niedrigeren Bildungsabschlüssen, Befragte im ländlichen Raum sowie Personen ohne religiöses Bekenntnis.“ (S 13)
—
Mit Blick darauf, wie sich ein „Land des Glücks“ beispielsweise via Demokratie-Festspiele ausbreiten könnte, gibt uns Prälat Leopold Städtler Hinweise in seinem Interview „Zeiten des Aufbruchs für eine Kirche für alle“*:
„Kaplan Vöckl hat gespürt, dass die Kirche alleine es sicher nicht schafft und es etwas braucht, wo der Mensch Mensch sein kann. Und da ist etwas passiert, was bis jetzt einmalig ist in unserer Diözese. Er hat als Kaplan von Fohnsdorf einen Fußballplatz zusammengebracht. Da hat es drei Mannschaften gegeben, eine sogenannte A-Mannschaft, dann die B-Mannschaft und die Nachwuchs-Mannschaft. Und da sind die Burschen gekommen. Beim Kaplan können wir Fußballspielen, haben sie gesagt. Das war der große Durchbruch eigentlich. Und dann, als ich nach Fohnsdorf gekommen bin, habe ich gemerkt, über dieses Fußballspielen kommen junge Menschen zusammen und über dieses Zusammenkommen können auch wir als Kirche langsam das hineinbringen, was wir eigentlich wollten. Dass sie etwas vom Glauben nicht nur verstehen, sondern zu leben beginnen. Das war eine völlig missionarische Geschichte in Wirklichkeit. Cardijn hat uns gesagt, nicht die Massen sind wichtig, sondern die kleinen Runden. Die kleinen Aktivistenrunden.“
*| Erschienen in: Sehen Urteilen Handeln. Erinnerungen aus der Zeit der Katholischen Arbeiterjugend und Katholischen Arbeiterbewegung (KAJ/KAB) Steiermark. Hrsg: KAB Steiermark, Druck: Dorrong, Graz, März 2023, S 15
LikeLike
„Ein Beispiel für eine friedliche Reduktion der Ungleichheit im 20. Jahrhundert bilden die skandinavischen Länder. Für Schweden, Norwegen oder Dänemark waren weder der Erste noch der Zweite Weltkrieg ein Massenmobilisierungskrieg. Auch gab es dort keine transformative Revolution, kein Staatsversagen und keine Pandemie. Und trotzdem gehören die drei Länder in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu den egalitärsten Ländern der Welt. Verantwortlich dafür waren keine Katastrophen, sondern Demokratie, Wahlrechtsausweitung, Steuerpolitik, eine starke Sozialdemokratie und eine starke Gewerkschaftsbewegung.“
Aus: W. Scheidel: Nach dem Krieg sind alle gleich. Rezension von Marc Buggeln, 2019
Dierk Hirschel: „Die zentrale Ursache für diesen sozialen Fortschritt war die Zivilisierung des Kapitalismus durch Gewerkschaften und Sozialdemokratie. Sie haben den Sozialstaat ausgebaut, Tarifverträge und Mitbestimmung gestärkt, Wohnen bezahlbar gemacht sowie Bildung für Alle ermöglicht.“
LikeLike